Brauchtum in Gefahr Neue Regelungen gefährden Erntedankumzug Niersbach/Greverath

Niersbach/Mainz · Viele Teilnehmer und Wagenbauer für den im Herbst geplanten Umzug in Niersbach/Greverath sind sauer. Die Motivwagen, die mit Schrittgeschwindigkeit durch die Orte rollen, brauchen nun zur Teilnahme ein TÜV-Gutachten, das zudem Geld kostet.

Bei den Vorbereitungen zum Erntedankumzug in Niersbach und Greverath, der alle drei Jahre durch die beiden Orte rollt und jedesmal Tausende Besucher anlockt, rumort es hinter den Kulissen derzeit gewaltig. Grund ist ein Erlass des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau. Darin heißt es, dass „bei Fahrten anlässlich von Brauchtumsveranstaltungen zu beachten ist, dass die Verkehrssicherheit der hierbei eingesetzten Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen von einem amtlich anerkannten Sachverständigen für den Kraftfahrzeugverkehr beziehungsweise von einem Prüfsachverständigen eines benannten Technischen Dienstes in einem Gutachten  zu bescheinigen ist“. Heißt im Klartext: Motivwagen,  die am 8. September beim Erntedankumzug zum Einsatz kommen sollen und auf denen Personen befördert werden, benötigen künftig ein TÜV-Gutachten. Die Teilnehmer des Erntedankumzugs in Niersbach rechnen mit Prüfgebühren in Höhe von 120 Euro pro Motivwagen. So fordert es der Erlass des Ministeriums vom 22. Oktober 2018.

Kritik Franz-Josef Krumeich,   ehemaliger Ortsbürgermeister der Gemeinde und aktives Verbandsgemeinderatsmitglied für die CDU, hat deshalb einen Brandbrief verfasst. Krumeich hält den Erlass für „überzogen“ und als gefährlich genug, den Erntedankumzug und damit die Tradition und das Brauchtum in Niersbach zu zerstören. „Damit wird das Ehrenamt nicht – wie von der Landesregierung verkündet– gefördert, sondern vielmehr mit Füßen getreten.“

Ihm sei unbegreiflich, dass Fahrzeuge und Anhänger geprüft werden müssten, die beim Erntedankumzug bloß mit Schrittgeschwindigkeit oder noch langsamer durch die beiden Orte führen. Im Erlass des Ministeriums werde zudem nicht zwischen großen oder kleinen Anhängern differenziert. Die Geschwindigkeit spiele darin auch keine Rolle. „Entscheidend ist, ob Personen auf den Anhängern stehen oder sitzen.“ Deshalb müsse künftig selbst ein Rasentraktor mit Anhänger, auf denen Personen sitzen, begutachtet werden. „Für alles entstehen Gebühren.“

Hans-Josef Weirich, der amtierende Ortsbürgermeister von Niersbach, pflichtet seinem Vorgänger bei: „Mit diesem Erlass wird das Brauchtum kaputt gemacht, befürchte ich, weil niemand mehr bereit ist, diese Kosten aufzubringen.“ Die Teilnehmer und insbesondere die Wagenbauer und Bastler aus Niersbach und Greverath seien sehr zornig, sagt Weirich. „Die formulieren ihre Wut noch ganz anders. Der Zorn bei den Leuten ist unbeschreiblich.“ Er halte diesen Erlass für Umzüge, die bei Schrittgeschwindigkeit durchgeführt würden, ebenfalls für völlig überzogen, erklärt Weirich. „Da würde doch eine Bremsprüfung bei Schrittgeschwindigkeit völlig ausreichen. Ich gebe Herrn Krumeich völlig recht.“

Prüfung Bislang haben 200 Teilnehmer mit zwölf Motivwagen, 2016 waren es 17 Wagen, ihre Teilnahme angekündigt. Weirich: „Allerdings bereits, bevor das mit dem Erlass und den notwendigen Begutachtungen der Fahrzeuge bekannt wurde.“

Ob nun alle angemeldeten Teilnehmer bei der Stange bleiben würden, das sei angesichts dieser Lage unklar, sagt Weirich. „Weitere potenzielle Wagenbauer, die gehandelt werden, aber noch nicht zugesagt haben, könnten abgeschreckt werden.“

Am 6. Juli um 9 Uhr wird es ernst: Dann sollen alle teilnehmenden Wagen im Rohzustand, bevor daran gebaut wird, in Niersbach vor der Mehrzweckhalle dem TÜV-Prüfer vorgestellt werden. Für die selbstgebastelten Anhänger, die bislang beim Umzug mitgefahren seien, sagt Weirich, sehe er dabei allerdings schwarz. „Die haben keine Betriebserlaubnis und auch kein Prüfschild.“ Bislang sei jedoch beim Erntedank­umzug nie etwas passiert, sagt Krumeich, da die Stabilität und Sicherheit der Wagen stets von sachverständigen Handwerkern des Ortes vor dem Umzug geprüft worden seien.

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