Nicht irgendein Vorfall

WITTLICH. Weiß leuchtet der Davidstern auf Wittlichs Marktplatz von Kerzen erhellt. Menschen mahnen um ihn herum stehend schweigend und mit kurzen Texten an die Pogromnacht 1938. Die Kerzen tragen sie anschließend zur ehemaligen Synagoge.

 Albert Klein, erster Beigeordneter der Stadt Wittlich, legt an der ehemaligen Synagoge einen Kranz nieder.Foto: Sonja Sünnen

Albert Klein, erster Beigeordneter der Stadt Wittlich, legt an der ehemaligen Synagoge einen Kranz nieder.Foto: Sonja Sünnen

Feierabendverkehr auf Wittlichs Marktplatz. Ein Mann spricht laut in sein Handy, ein anderer führt seinen Hund Gassi, mehr als einen knappen Blick wirft kaum einer auf die schweigende Runde um den Davidsstern. Ein Kind ruft unbefangen: "Die machen Feuerwehr." Viele eilen schnell weiter. Damit Auschwitz nicht irgendwann zu "einem gewöhnlichen Vorfall unter anderen gewöhnlichen Vorfällen" wird, wie ein vorgelesenes Zitat beschreibt, stehen kurz nach 17 Uhr über 20 Wittlicher im Kreis, kaum ein junger Mensch ist darunter. Gegen Ende der Mahnwache sind es über 40 Teilnehmer. Die Passanten nehmen wenig Notiz von der stillen Demonstration wider das Vergessen. Eine Frau meint: "Es ist gut, dass sie das tun." Ein Mann gibt zu, er habe im ersten Moment beim Anblick der Schweigerunde und des Davidsterns gedacht, Arafat sei gestorben. Ein anderer Passant wundert sich, warum so etwas immer noch stattfindet. Dann liest jemand aus dem Buch "Der Totenwald" vor. Als der Name Buchenwald fällt, sagt eine Passantin: "Da war ich als junger Mensch. Danach konnte man nur noch weinen." Die Mahnwache findet sie gut: "Weil es eben ein Zeichen setzt." Der Sprecher erinnert derweil an die Judenverfolgung, als es nur noch Nummern, nicht Namen gab: "Abgetrennt vom Leben, der Schönheit, der Güte". Zum Abschluss des Schweigekreises wird ein jüdisches Totengebet vorgelesen. Ein Betrunkener bleibt stehen, blickt auf das Kerzenlicht und murmelt: "Was ist das. Ich weiß es, das Hexenzeichen!" Die kleine symbolische Tat des stillen Mahnens auf dem Marktplatz scheint viele in ihrem Abend-Alltag zu irritieren. Dann löst sich der Kreis, die Kerzen werden zur Kranzniederlegung zur ehemaligen Synagoge getragen, wo Stadtratsmitglieder warten. Albert Klein, erster Beigeordnete der Stadt, hält eine kurze Rede: "In Berlin haben sie Plaketten in den Boden eingelassen mit den Namen der Opfer. Steine des Anstoßes sollen sie sein." Er erinnert kurz an die Menschen, die "vertrieben, gequält, ermordet wurden" und betont: "Das Gedenken an die Toten dient auch den Lebenden zur Mahnung." So wie es in Stein hinter den Kränzen und Kerzen in die Synagogenwand gemeißelt steht. Dann kommt er zur Gegenwart: "Es ist zu überlegen, ob ein richtiges Signal davon ausgeht, wenn die Stadt Wittlich nach 30 Jahren ihre Mitgliedschaft in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft kündigt. Auch wenn wir nach den jüngsten Wahlen in die Landtage schauen. Wenn dort Leute sind, deren Gedankengut nicht unähnlich denen ist, die dieses Unheil angerichtet haben." Der Ursprung der Mahnwache, geht auf die Gruppe Pax Christi zurückgeht. Am Dienstag dankte Albert Klein: "Allen die zur Gedenkstunde gekommen sind, insbesondere dem Arbeitskreis jüdische Gemeinde, dem Emil-Frank-Institut und dem Bündnis für Menschlichkeit und Zivilcourage."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort