Ohne die Jungs ist es ruhiger

Wittlich · Um den Interessen von Jungen und Mädchen besser gerecht zu werden, wird an der Grundschule Friedrichstraße einmal pro Woche getrennt unterrichtet. Seit zwei Jahren läuft das Projekt in allen vier Klassenstufen, das mit 2000 Euro pro Jahr für Weiterbildungen und Lernmaterial gefördert wird.

 Aufmerksam und eifrig suchen sich die Jungen und Mädchen ihren Lesestoff aus. TV-Foto: Christina Bents

Aufmerksam und eifrig suchen sich die Jungen und Mädchen ihren Lesestoff aus. TV-Foto: Christina Bents

Wittlich. Sport oder Tiere, das ist hier die Frage: In der Grundschule Friedrichstraße gibt es diese Auswahl. In der Klasse 2 b steht in der dritten Stunde Leseverständnis auf dem Stundenplan. Auf dem Fußboden liegen Fußballtrikots, ein Ball und Fußballbücher. Auf der anderen Seite liegen Delfinbücher, Poster und Kuscheldelfine. Erst wird über die Themenauswahl geredet, dann suchen sich die Kinder einen Text aus - ob Delfine oder Fußball - Fragen dazu werden anschließend beantwortet. Von den neun Mädchen der Klasse haben sich zwei für Fußball entschieden und ein Junge für Delfine. Es ist nicht überraschend, dass andererseits die meisten Jungs Fußball wählen. Aber das Besondere ist: In der Klasse wird bewusst mit diesen Vorlieben gearbeitet.
Die Motivation fördern



Klassenlehrerin Anke Simon sagt: "So sieht eine normale Stunde aus, in der wir versuchen, den Interessen der Jungen und Mädchen gerecht zu werden, aber wir wollen keine Stereotypen verfestigen. Die Kinder können sich selbst aussuchen, welchen Text sie lesen. Wir merken aber, dass sich die Jungen bei Texten, beispielsweise über den Krieg der Sterne, darauf stürzen und aktiver dabei sind."
Neben den gemeinsamen Stunden, in denen auf diese Art auf Interessen von Jungen und Mädchen eingegangen wird, ist der Unterricht einmal pro Woche komplett nach Geschlecht getrennt - meist in den Fächern Sport, Kunst oder Deutsch. Für die Schüler ist das nichts Besonderes. Sie sehen keinen großen Unterschied zwischen den gemeinsamen und den reinen Jungen- und Mädchenstunden. Jara sagt: "Wenn die Jungs nicht mit in der Klasse sind, ist es ruhiger." Und Maria findet: "Es ist nichts anders im Unterricht, wenn die Jungs nicht dabei sind." Bei den Jungen ergibt die Umfrage ein ähnliches Bild. Joe sagt: "Wir sind mit der gesamten Klasse mehr Schüler, das ist anders."
Seit zwei Jahren läuft das Projekt "Junge, Junge" an der Schule. Dabei geht es nicht nur darum, durch verschiedene Themenangebote die Motivation zu fördern. Auch anderweitig soll auf das Geschlecht aufmerksamer geachtet werden. Anke Simon gibt ein Beispiel: "Bei Konflikten auf dem Schulhof wird genauer hingesehen. Jungen lässt man mal eher raufen, und man macht bewusster klare Ansagen, die Jungs besser verstehen als lange Erklärungen." Das Projekt wird nun um ein Jahr verlängert und soll auch danach als Thema präsent bleiben. Doch was bringt\'s tatsächlich? Anke Simon: "Die Mädchen arbeiten zum Beispiel ohne die Jungs ungestörter, und in Mathematik sind die Jungen ohne die Mädchen aktiver und mehr bei der Sache." In Noten messbar ist das allerdings nicht: Zum einen nicht, weil es bis zur dritten Klasse keine Noten gibt, zum anderen, weil man nicht mit Sicherheit sagen kann, ob die Geschlechtertrennung oder die kleinere Lerngruppe Ursache für die ruhigere und konzentriertere Arbeitsweise der Kinder ist.
Lehrerin Michaela Lommel: "Es ist noch zu früh, weil wir in diesem Schuljahr erst mit dem getrennten Unterricht begonnen haben. Im ersten Jahr haben wir uns mit dem Thema beschäftigt, die Umsetzung geplant. In ein paar Jahren kann man konkretere Aussagen machen."

Meinung

Warum nicht?
Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung ist sicher: Jungs bleiben häufiger sitzen, stören öfter den Unterricht und haben im Vergleich zu Mädchen die schlechteren Schulabschlüsse. Das kann nicht daran liegen, dass sie per se dümmer sind, oder? Tatsache ist, dass frühkindliche Bildung allein schon vom Personal her überwiegend weiblich besetzt ist. Das geht weiter bis in Bereiche wie Kinderliteratur. Wer mal ein Buch für kleine Jungs abseits von Fußball gesucht hat - das auch tatsächlich gerne gelesen wird, könnte zum Beispiel angesichts des Angebots glauben, nur Mädchen läsen viel. Aber auch da tut sich was. Gut, dass ein Projekt wie Junge, Junge an einem besseren Gleichgewicht arbeitet. Warum nicht? Solange die Schüler beider Geschlechter profitieren, ist das ein sinnvoller Ansatz. s.suennen@volksfreund.deExtra

Das Projekt Junge, Junge ist ein gemeinsames Programm der Nikolaus Koch Stiftung und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. In den ersten beiden Jahren gab es 2000 Euro für die Schule, im dritten sind es 1000 Euro. In der Region nehmen die Realschule plus Traben-Trarbach, die Kurfürst-Balduin-Realschule Trier, die Matthias- Grundschule Trier und die Kindertagesstätte in Pelm sowie das Spatzennest Trier teil. chb

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