Schauspiel trifft Vorlesekunst

Wittlich-Wengerohr · Mit Katharina Thalbach haben die Eifel-Kulturtage eine der ganz Großen auf die Bühne von Wittlichs Stadtteil Wengerohr gebracht. Nicht als Schauspielerin, sondern zum Vorlesen.

Wittlich-Wengerohr. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Glas Wasser, ein rotes Taschentuch - und natürlich das Buch. Katharina Thalbach braucht nicht viel, um rund 300 Zuhörer zu fesseln. Wobei das rote Tüchelchen wohl nur in Wengerohr wichtig ist: zum Schweiß abtupfen bei über 30 Grad im Bürgerhaus.
Auch vor dem sich Frischluft zufächelnden Publikum macht Thalbach das, was sie seit frühester Kindheit tut: schauspielen - und dabei vorlesen. Oder umgekehrt? Die 61-Jährige lässt die Personen in Jonas Jonassons zweiten Werk "Die Analphabetin, die rechnen konnte" lebendig werden. Das farbige Mädchen Nombeko, das während der Apartheid in Südafrikas Township Soweto als Latrineneimerträgerin aufwächst: klein, zierlich, aber mit scharfem Verstand und einer außergewöhnlichen mathematischen Begabung. Sie lernt rechnen, indem sie bereits als Fünfjährige die Eimer mit den Exkrementen, die sie wegtragen muss, zählt. Und sie lernt sich zu verteidigen, rammt ihrem grapschenden Arbeitskollegen Thabo als 13-Jährige kurzerhand eine Schere in den Oberschenkel. Aber der Fiesling kann lesen und Nombeko will das lernen, ohne jedesmal angemacht zu werden: "Ich möchte hierher kommen und mich durch deine Bücher buchstabieren, ohne jedes Mal eine neue Schere mitzubringen." Denn Scheren sind teuer!
Katharina Thalbachs Art vorzulesen verschmilzt mit dem Stil von Jonasson. Wenn sie vom Buch aufblickt, fragt man sich manchmal, ob die ein oder andere Bemerkung wirklich so gedruckt ist oder ob die Schauspielerin ein bisschen und gekonnt improvisiert.
"Sehr unterhaltsam"


Es stehe alles so im Buch, sagt allerdings Ingrid Christ aus Bausendorf, die den Bestseller des schwedischen Autors bereits gelesen hat. "Man merkt, dass sie eine ganz tolle Schauspielerin ist", sagt sie zu Thalbachs Vorlesetalent. "Fantastisch, toll gelesen und sehr unterhaltsam", pflichtet ihr Christine Eberle bei.
Trotz stickiger Sommerluft, die meisten Zuhörer hätten Thalbach noch gerne länger an den Lippen gehangen, als zwei Stunden. Mit stehenden Ovationen wurde die Berlinerin verabschiedet. "Sie ist eine, die schichtenübergreifend gefällt", sagt der Geschäftsführer der Eifel-Kulturtage, Rainer Laupichler. Thalbach spricht mit ihrer "Berliner Schnauze" alle an.
Extra

Katharina Joachim genannt Thalbach, so ihr voller Name, stammt aus einer Theaterfamilie und sowohl Tochter Anna, als auch Enkelin Nellie führen diese Tradition fort. Seit ihrem fünften Lebensjahr steht die heute 61-Jährige auf der Bühne. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter 1966 wurde sie dabei von Helene Weigel, der Witwe Berthold Brechts, unterstützt. 1979, drei Jahre, nachdem Thalbach als Folge ihres Protests gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns von Ost- nach West-Berlin übersiedeln musste, spielte sie in der oscarprämierten Fassung von "Die Blechtrommel" die Maria Matzerath. Nach der Auflösung der Staatlichen Schauspielbühnen Berlin Mitte der 1990er Jahre spielte Thalbach verstärkt in Film- und Fernsehproduktionen mit und führt seit 1997 auch Regie bei Opern, obwohl sie keine Noten lesen kann. Sie ist Sprecherin in zahlreichen Hörbüchern, erhielt unter anderem im vergangenen Jahr den Deutschen und den Beo Kinderhörbuchpreis. teu

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