Schlüsselloch-Tanz in Wittlich öffnet Türen im Kopf

Wittlich · Außergewöhnlich intime Performance in Wittlich: Elisabeth Schilling, Tänzerin und Choreografin, zeigt letztmalig am heutigen Samstag in der Casa Tony M. in Wittlich stündlich ihre Körperkunst und gibt Einblicke in ihre Methodik.

"Ich muss aufpassen, dass ich nicht mit dem Kopf in ein Munzlingerwerk renne." Elisabeth Schilling hat gerade ihre Tanzperformance Sixfold gezeigt: Der abgedunkelte Ausstellungsraum ist die Bühne, durch einen eichenen Türsturz getrennt und gleichsam zu ihm geöffnet ist das Nebenzimmer fürs Publikum.

Zwar fehlt die Unterstützung, die professionelles Licht, eine große Bühne ihrer Arbeit sonst gibt, aber ihre künstlerische Methode beeindruckt auch in dieser puren, authentischen Form, macht jedes Zucken, Innehalten, Schwingen, Recken, Verwelken, Wachsen, Verzagen der Bewegung wie in Gefangenschaft groß.

An existenzielles Menschsein kann man denken, von den Giganten Geburt bis Tod. Man kann vielleicht die Zwischentöne von Hoffnung bis Einsamkeit empfinden, wenn man an dem als Beobachter teilnimmt, was die Künstlerin in konzentrierter Zeit zeigt, hinein- und wegtanzt. Dazu in jedem einzelnen Moment ein besonderes Bild nachfühlen lässt, unterstützt durch die Musik und die Beziehung ihres bewegten Körpers zu dem einen optischen Gegenpol, der mehr ist als ein Requisit: der hüfthohen Kugel, von der sie sich weg- und hinbewegt, die selbst in Bewegung ist.

Was man sieht? Eine Frau ist es nicht, ein Wesen vielleicht, das, weil der Mensch es oft so will, dennoch eine Geschichte erzählen kann, wenn der Zuschauer das erleben will. Aber sicher ist das nicht. Die Möglichkeit der Projektion des Publikums wird noch durch den Effekt verstärkt, den es auslöst, das Gesicht der Tänzerin nicht zu sehen: Sie ist meist abgewandt. Zudem kommt in der Casa Tony M. noch eine bewusst gewählte "Schlüsselloch-Perspektive" zum Tragen. Weil man als eine Art heimlicher Beobachter hinter den Türsturz verbannt ist. Wenn man alles sehen will, kann man nicht einfach sitzen bleiben, um alles zu beobachten. "Das gefällt mir, es ist wie etwas Intimes. Und ich mag, wenn auch das Publikum sich bewegen muss, denn sonst kann man nie alles sehen", sagt Elisabeth Schilling.

Überhaupt, was eigentlich ist das, was man sieht? Was das Publikum angesichts der Performance Sixfold erlebt? Wer weiß es schon.

Extrem präsent sieht man vielleicht eine Künstlerin, die ruht, zittert, sich duckt und streckt. Sie schält sich in den Raum, zuckt, atmet, ruckelt, biegt sich. Bewegungen wie Flammenzüngeln, stoppende Schritte, eine Art beschleunigte Zeitlupe, sich Erschöpfen, Entfernen, ein Stürzen und Aufbäumen und Altern, Herabsinken, nach Licht Greifen, seitlich Entkommen: All das kann man interpretieren, letztlich ist es die eigene Gedankenwelt, die damit in Bewegung gerät und eben die Vergleiche formt, die eigentlich Assoziationen sind. "Unwillkürliche gedankliche Verknüpfung" ist ja nun einmal die Bedeutung von Assoziation.

Damit erreicht Schillings Performance beim Betrachter eine Reflexionsstufe, die dem Stück eine spielerische Poesie gibt, die Türen im Kopf öffnet. "Ja ich will Türen öffnen. Und Improvisation, Tanz ist eine Kunstform der Unsicherheit. Das ist eine Thematik, die mich sehr beschäftigt", sagt sie. Natürlich ist das Stück dennoch anspruchsvoll durchkomponiert, denn: "Je fester die Struktur, je freier kann man sein." Denn sie will durchaus freie Leerstellen lassen, an denen die Gedanken der Zuschauer selbst zu fließen anfangen können. Eine "kreative, sinnliche Erfahrung" wolle sie ermöglichen. So sagt sie im Rückblick auf die Aufführung ihres Stücks in Luxemburg: "Der größte Erfolg war für mich, dass jeder etwas anderes gesehen hat. Das ist für mich das Reiche daran."
Das ist womöglich vergleichbar mir der Wirkung, die großartige Bilder auf Menschen haben können, die Faszination der Vielschichtigkeit von Kunstwerken.

In ihrer aktuellen Arbeit, die in Kooperation mit dem Designer und Künstler Alexander Ruth entwickelt wurde, ist dabei das Besondere, wie sie sich zudem mit dem Thema Skulptur beschäftigt. Die Kugel, die in Wittlich seitlich im Raum liegt und sich bewegt, ist auf großen Bühnen mittig. Sie markiert auch Anfang und Ende der Performance, die gesetzte Form als Alpha und Omega in Beziehung zur vergänglichen Bewegung.

Die Arbeit, schreibt die Choreografin, wolle den Fragen nachspüren: "Wie stehen die unterschiedlichen Künste und Wissenschaften mit Tanz in Verbindung? Was vereint sie, und was trennt sie voneinander? Wie inspirieren und ergänzen sie sich?"

Interessiert? Am heutigen Samstag, 2. Juni, sind ab 11 Uhr bis 17 Uhr stündlich kostenlose Vorführungen in der Casa Tony M. am Marktplatz in Wittlich.Extra: DIE KÜNSTLERIN, IHRE METHODE UND IHR STÜCK

Schlüsselloch-Tanz in Wittlich öffnet Türen im Kopf
Foto: (m_wil )
Schlüsselloch-Tanz in Wittlich öffnet Türen im Kopf
Foto: (m_wil )
 Sie duckt, dreht, streckt sich durch den Raum. In der Produktion Sixfold setzt sich Elisabeth Schilling als Performance mit dem Thema Skulptur auseinander. TV-Fotos(6): Sonja Sünnen

Sie duckt, dreht, streckt sich durch den Raum. In der Produktion Sixfold setzt sich Elisabeth Schilling als Performance mit dem Thema Skulptur auseinander. TV-Fotos(6): Sonja Sünnen

Foto: (m_wil )
Schlüsselloch-Tanz in Wittlich öffnet Türen im Kopf
Foto: (m_wil )
 Kommunikation ist wichtig, bitte aufschreiben! Die Reflexion des Publikums interessiert die Künstlerin.

Kommunikation ist wichtig, bitte aufschreiben! Die Reflexion des Publikums interessiert die Künstlerin.

Foto: (m_wil )


Elisabeth Schilling ist gebürtige Wittlicherin. Die Tänzerin und Choreografin hat in Frankfurt und London studiert und ihren Magister Artium in Contemporary Dance 2005 mit Auszeichnung gemacht. Sie tanzt in internationalen Produktionen, arbeitet als Choreografin, interessiert sich spartenübergreifend für Kunstformen, deren Theorien und wissenschaftliche Forschungen und deren Zusammenhang mit Tanz. Sixfold ist eine konzeptionelle, interdisziplinäre Arbeit, die Skulptur (Alexander Ruth, Sooye Kim Foamnara) und Musik (Rhill Niblock, Wilkliam Bilwa Costa) einbezieht. Als "konzentrierte Bewegungsstudie zwischen Mensch und Objekt" wird die Performance im Pressetext beschrieben. Raum, Imagination, Resonanz, Zeit, Textur, Übergang: Das sind laut Künstlerin ihre Perspektiven, die sie mittels des Körpers darstellt.

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