Schuhe sind absoluter Luxus

WITTLICH. Marguarite Barankitse hat keine leiblichen Kinder. Stattdessen kümmert sie sich ungeachtet der Stammesherkunft in Burundi um Waisen, Kriegsopfer und aidskranke Kinder. Tatkräftig unterstützt wird sie dabei von einem Wittlicher Verein.

Die "Wittlicher Burundihilfe für das Haus Shalom" existiert seit August 2002. Die persönliche Bekanntschaft zwischen der Vereinsvorsitzenden Lilo Musseleck und Marguarite Barankitse besteht schon wesentlich länger. Sie kam zustande über Bischof Joseph Nduhirubusa aus der Diözese Ruyigi im Norden Burundis, dessen Sekretärin Barankitse einst war. "Maggy war ein furchtbar schüchternes Mädchen", erinnert sich Musseleck. Das hat sich gründlich geändert.Seit dem Regierungsumsturz 1993, nachdem Europa ein Handelsembargo gegen Burundi verhängte, kämpft sie für die zahllosen Kinder, die in dem durch Bürgerkriege und Stammesfehden zerrütteten Land ohne Familie durchs Leben irren. Für diese Kinder legt sich die heute 45-Jährige schon mal mit Staatsoberhäuptern an. Begonnen hat alles mit einem Massaker, dessen Augenzeugin Barankitse wurde: Im Hof des Bischofs metzelten Tutsi 75 Hutu nieder.Täglich kommen neue Kinder

Barankitse, selbst eine Tutsi, überlebte mit etwa 25 Kindern, die es zu versorgen galt. So baute sie, damals in Kooperation mit einem deutschen Entwicklungshelfer über die Caritas International das erste Haus. Haus Shalom hat inzwischen viele Ableger, und immer noch kommen täglich neue Kinder: Im Chaos Versprengte und Waisen - 40 Prozent von ihnen mit Aids infiziert.Doch Barankitse wartet nicht, bis Kinder den Weg zu ihr finden. Sie begibt sich auch in die großen Flüchtlingslager nach Tansania und nimmt die Kinder zu sich ins Haus Shalom.Längst ist Barankitse mit ihren Einrichtungen in ganz Afrika ein Inbegriff für wirkliche nachhaltige Hilfe geworden. Die ehemals so schüchterne Frau ist derart über sich hinausgewachsen, dass ihr Ruf über alle Länder- und Stammesgrenzen hinweg bis Stockholm vorgedrungen ist. Von der schwedischen Königin erhielt sie im April diesen Jahres den Kindernobelpreis, Frankreich hat sie mit der Medaille "Verteidigerin der Menschenrechte" geehrt.Was Barankitse tut, hat Hand und Fuß. Sie unterbricht den Kreislauf der Armut - Burundi ist eines der ärmsten Länder der Welt - an den entscheidenden drei Stellen gleichzeitig: Erstens sorgt sie für die nötige Nahrung, zweitens für Bildung und Ausbildung, und drittens für medizinische Versorgung.Barankitse hat Erfolg. In ihren Häusern bleiben die Kinder nur so lange, bis sie einen Platz für ihr weiteres Leben gefunden haben. Erklärtes Ziel ist ein eigenständiges Leben der Kinder, sobald sie alles Notwendige gelernt haben.Manchmal macht Barankitse die Ursprungsfamilie ausfindig, manchmal Pflegefamilien oder Heime. Jedes Kind, das das Haus Shalom verlässt, bekommt eine kleine Grundausstattung mit auf den Weg: Eine Matratze, eine Schüssel, einen Löffel, einen Satz Kleidung. Ohne Schuhe übrigens, denn die gehören in Burundi schon zum Luxus. Rechtsanwälte arbeiten mit im Stab des Hauses Shalom. Lilo Musseleck, die sich ein-, zweimal pro Jahr mit Barankitse irgendwo auf Flughäfen, nur selten auch mal zuhause bespricht: "Wer sollte sonst das rechtmäßige Eigentum der Kinder sicherstellen?" Die ständige Anwesenheit internationaler Presse gewährleistete dem Haus Shalom stets einen gewissen Schutz. Ein Gästehaus für Reporter und alle anderen Besucher hatte Barankitse schnell eingerichtet: Sie überlässt nichts dem Zufall. "Die Erfahrungen von Gewalt und Verlust der Familie kann ich ihnen nicht nehmen, aber ich kann ihnen beibringen, in einer Gemeinschaft zusammen zu leben."Inzwischen gibt es Hoffnung für ganz Burundi, das vor den verheerenden Bürgerkriegen als die Schweiz Afrikas galt: Seit einem Monat ist eine Übergangsregierung aus sämtlichen ethnischen Gruppen am Werk. Die Rebellengruppen bekommen vier Ministersitze. Auch die hartnäckigste Rebellengruppe, die FNN, hat sich Anfang Dezember mit an den Verhandlungstisch gesetzt.

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