So kann ein Dorf groß rauskommen

Wittlich · Kann der 750-Seelen-Ort im Kreis Cochem-Zell ein Vorbild für Wittlichs Stadtteile sein? In Hambuch gibt es einen Verein Dorfakademie, dessen Angebote die Landflucht stoppen sollen. Wittlichs Ortsbeiräte informierten sich in einer gemeinsamen Sitzung über das Projekt.

Wittlich. Das klingt ja sagenhaft: In einem Dorf treffen sich Jung und Alt und amüsieren sich. Es gibt ein Theaterprojekt, das ruckzuck ausverkauft ist, man kocht und feiert gemeinsam, aus den Nachbargemeinden pilgern Besucher zu Veranstaltungen in den 750-Seelen-Ort. Viel Arbeit ist das Ganze auch nicht, die Finanzierung war nie ein Problem, und man kann sich vor guten Ideen kaum retten. Die Ortsbeiräte aus Wengerohr, Bombogen, Lüxem, Neuerburg und Dorf staunen nicht schlecht. Vor ihnen sitzt ein Herr Professor-Doktor.
Was dieser Rainer Ningel aus seinem Heimatort Hambuch bei Kaisers esch erzählt, klingt aber gar nicht überkandidelt, auch wenn es dazu auch noch um ein Projekt geht, dass er mit damals zwei Mitstreitern "Dorfakademie" getauft hat. Aber es klingt wie aus einer anderen Welt: Vereinsveranstaltungen, die jedem Spaß machen und bei denen nicht immer dieselben anpacken müssen und auch nicht "nur" von immer denselben besucht werden; in denen in einem kleinen Eifeldorf noch richtig was los ist und Einheimische und Zugezogene mit eingebunden sind.
Das Rezept ist vereinfacht gesagt: mit Enthusiasten aus dem Dorf einen offenen Verein gründen, der sich Unabhängigkeit jedweder Couleur auf die Fahnen schreibt, der schaut, was es schon Gutes vor Ort gibt und das noch besser machen will, der darauf achtet, keine Konkurrenz zu anderen Angeboten zu sein, sondern ergänzen und Netzwerke nutzen will. Ziel war und ist, sagt Rainer Ningel: "Die Menschen sollen bleiben oder kommen. Wir wollten uns etwas überlegen, um der damals prognostizierten Landflucht zu begegnen und dem Eindruck: auf dem Land, da ist nichts los, in der Stadt ist es irgendwie schöner." Und das war in Hambuch so, trotz der wie in anderen Orten auch bestehenden Vereine vom Kirchenchor über den Sport- und Musikverein bis zur Feuerwehr. Die 2004 geschaffene Bürgerakademie hat jedoch einen Ansatz, der sie von klassischen Vereinen unterscheidet. Sie setzt auf "die Erhöhung der Lebensqualität durch Förderung und Verbesserung der soziokulturellen Bedingungen". Klingt kompliziert, hat aber konkrete Veranstaltungen zur Folge. 2012 sind es 40, wie das gemeinsame Spaghettiessen, eine Carrerabahn-Meisterschaft, ein Nachttheater, Erzählabende mit Einheimischen und Zugezogenen oder eine "Hambuch blüht auf"-Aktion. Das kommt einem bekannt vor, die spezielle Umsetzung eher nicht: Kinder fahren 500 Sonnenblumen oder Stauden durchs Dorf und verteilen sie. So kommt es zum Gespräch zwischen den Generationen, der ehemalige "Dorf-Effekt", dass jeder jeden kennt, wird gestärkt, und dem Ortsbild hilft\'s auch. Es gibt auch Ideen, die floppen. "Wir dachten, die alten Menschen müssten doch richtig dankbar sein, wenn ihnen Jugendliche den Hof kehren oder für sie einkaufen. Keiner hat das angenommen, sondern die haben wütend und total empört reagiert:,Glaubt ihr, meine Familie lässt mich im Stich?\'. Das Demütigende hinter dem Angebot hatten wir nicht realisiert. Die wollten etwas leisten. Dann gab es eben Platt im Kindergarten", sagt Ningels.
Die Ortsbeiräte, die von all dem im Bombogener Pfarrheim hören, sind erstaunt. "Das ist schwer zu glauben", so ein Kommentar zu diesem neuen Weg. Zum alten sagt Bombogens Ortsvorsteher Hermann Josef Krämer, der die Sitzung initiiert hat: "Jeder von uns kennt das Thema Ortsentwicklung. Meist steht im Vordergrund, Räumlichkeiten zu schaffen wie Dorfgemeinschaftshäuser, Jugendräume. Dorfentwicklung wird oft an sichtbaren Dingen wie Baugrundstücke ausweisen, Straßenausbau festgemacht." Der Ansatz, die sozio-kulturellen Bedingungen zu verbessern, sei zumindest ein Anlass, "auch mal die eigene Arbeit zu hinterfragen". Und wer die sagenhafte Geschichte der Dorfakademie nicht glaubt, zu dem sagt Rainer Ningel. "Ich kann Ihnen ja viel erzählen. Kommen Sie einfach mal nach Hambuch, zur Winterkirmes zum Beispiel."
Das Konzept kann jeder im Internet nachlesen und nachmachen: www.dorfakademie-hambuch.de

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