So macht Alwin in der Stadt Schule: Kunstprojekt füllt leere Schaufenster in Wittlich

Wittlich · Ein politisch-künstlerisches Projekt füllt einen Leerstand in Wittlich. Die Vernissage ist heute um 18.30 Uhr.

 Liane Deffert hat aus Schülerarbeiten zum Thema Flucht ein kleines Ausstellungsprojekt gemacht. TV-Foto: Klaus Kimmling

Liane Deffert hat aus Schülerarbeiten zum Thema Flucht ein kleines Ausstellungsprojekt gemacht. TV-Foto: Klaus Kimmling

Foto: Klaus Kimmling (kik) ("TV-Upload Kimmling"

Non scholae, sed vitae discimus. Der schlaue Lateinerspruch, dass man fürs Leben und nicht für die Schule lernt, ist nur leeres Wortgeklingel, außer man tut tatsächlich das, was er beinhaltet. Wie der Oberstufen-Kunstkurs am Peter-Wust-Gymnasium. Die Schüler haben aufs aktuelle politische Leben geschaut, sich die Situation der Flüchtlinge zum Thema gemacht. Daraus hat sich ein kleines Ausstellungsprojekt in der Altstadt entwickelt. Zunächst haben die Schüler unter Leitung ihrer Kunsterzieherin Liane Deffert auf eigenen Wunsch den unter dramatischen Umständen in Europa gestrandeten Menschen eine Arbeit gewidmet. Das Ergebnis, entstanden durch viel Nachdenken und Diskutieren, ist ein besonderes.

Zunächst wurden Luftmatratzen mit Pappmascheetechnik mit Kleisterpapier abgeformt und zu plastischen Bildträgern umgestaltet. Darauf wurden vervielfältigte, gerasterte und verfremdete Ausschnitte ausgewählter Gesichter geklebt. Sie stammen von Pressefotos einzelner übers Meer flüchtender Menschen.
Dabei ging es auch um die Frage der Würde. So hat man laut Liane Deffert darüber debattiert, ob man das zum Symbol der Katastrophe gewordene Bild des toten dreijährigen Aylans am türkischen Strand verwenden könne, das 2015 um die Welt ging. Bewusst hat man sich dagegen entschieden. Damit künstlerisch zu arbeiten ginge schlicht zu weit.

Nun sind großformatige, nur auf den ersten, entfernten Blick freundlich-farbige Objekte entstanden. Beim genauen Hinsehen kippt die Wahrnehmung, man "liest" durch die bearbeiteten Foto-Fetzen etwas anderes, als der erste Anschein vermuten ließ, entdeckt die Spuren der Zeitgeschichte, kommt ins Nachdenken über das Drama der Flucht. "Die Objekte verkörpern Leid, wie es täglich passiert. Es sind auch Lernobjekte. Erst wird man von ihnen angezogen, dann wird man auf das Flüchtlingsthema gestoßen", sagt Liane Deffert. Sie hat mit vier dieser auffälligen Arbeiten einen Leerstand in der Himmeroder Straße zu einem kleinen Galerieschaufenster gestalten können. "Das ging über Alwin, das Leerstandsmanagement der Stadt Wittlich ganz unkompliziert. Ich bin zur Sprechstunde mit Frau Schade gegangen, mir wurden mehrere Objekte genannt, und dieses ist optimal, weil es sehr neutral ist. Und wie viele Menschen hier entlang gehen, habe ich beim Aufhängen gemerkt", sagt die freischaffende Künstlerin, die hier auch dank der Eigentümer der Immobilie mit einfachen Mitteln eine Öffentlichkeit für die Schülerarbeiten möglich machen kann.

Zufällig kommt gerade eine Zwölftklässlerin des Gymnasiums am Spezialschaufenster vorbei. Was sie über die Arbeiten ihrer Mitschülern denkt? "Sie sind sehr ambivalent, arbeiten mit Verfremdung. Erst denkt man: ,Wow, eine bunte Luftmatratze!' Dann merkt man, dass da noch was ist. Zuerst weckt das vielleicht eine schöne Erinnerung an die Kindheit. Dann sieht man die verzerrten Gesichter."

Gegenüber dem neuen Galeriefenster hat sich auch ein anderer Leerstand verwandelt. Wo einst 45 Jahre lang Hilde Steilen einen Tante-Emma-Laden führte, gibt es seit einer Woche Wittlichs erstes E-Zigaretten-Fachgeschäft. Ob "Spezial-Kippen", ob Kunst: Beides bringt Leben in die Stadt. Und genauso will das Konzept Alwin weiter in Wittlich Schule machen.
Wer das Engagement würdigen will: Die Eröffnung von "Gestrandet … Flüchtlinge in Europa" ist heute, Dienstag, 4. April, 18.30 Uhr, in der Himmeroderstraße 7.DAS SAGEN SCHüLER üBER DAS KUNSTPROJEKT

Extra

Gabriel Raskop: "Assoziieren wir Luftmatratzen mit Ausgelassenheit, Entspannung, Vergnügen am Strand, so kann ein solcher Schwimmkörper für einen Ertrinkenden die letzte Rettung sein." Smilla Lommel: "Von Weitem sieht man nur eine unscheinbare Luftmatratze in knalligen Farben. Betrachtet man diese jedoch genauer, erkennt man Bilder von Menschen auf ihrer Flucht über das Meer, die um ihr Leben kämpfen." Rebecca Schühlein: "Unser Kunstprojekt polarisiert, da es einen Freizeitartikel mit Menschen verbindet, die sich in einer extremen Notsituation befinden."

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