Steine, Sarkophage und Scherben

Trier · Im Kreuzgang der Trierer Abtei St. Matthias durchkämmen Archäologen die Erde. 70 Zentimeter tief sind die Böden dafür ausgehoben worden. Dabei hat Grabungsleiter Marco Schrickel eine kleine Sensation entdeckt.

 Abt Ignatius Maaß und Grabungsleiter Marco Schrickel diskutieren über die Ausgrabung im Ostflügel des Kreuzganges. Das Bild links zeigt eines der Fundstücke, eine Scherbe aus dem Hochmittelalter, die wahrscheinlich von Gebrauchskeramik stammt. Unten rechts: Ohne große Rücksichtnahme auf die Geschichte ist eine Rohrleitung über einem Steinsarkophag gebaut worden. Darunter liegt eine Abwasserleitung, die aus römischen Ziegeln gebaut wurde. Unten links: Ein Grabungsfacharbeiter untersucht die Erde im Kreuzgang. TV-Fotos (4): Verona Kerl

Abt Ignatius Maaß und Grabungsleiter Marco Schrickel diskutieren über die Ausgrabung im Ostflügel des Kreuzganges. Das Bild links zeigt eines der Fundstücke, eine Scherbe aus dem Hochmittelalter, die wahrscheinlich von Gebrauchskeramik stammt. Unten rechts: Ohne große Rücksichtnahme auf die Geschichte ist eine Rohrleitung über einem Steinsarkophag gebaut worden. Darunter liegt eine Abwasserleitung, die aus römischen Ziegeln gebaut wurde. Unten links: Ein Grabungsfacharbeiter untersucht die Erde im Kreuzgang. TV-Fotos (4): Verona Kerl

Foto: (h_st )

Trier Eine Schaufel Erde nach der anderen landet in dem schwarzen Eimer. Manchmal ragt ein Knochensplitter aus dem Dreck. Manchmal ein römisches Stück Ziegel oder eine mittelalterliche Scherbe. Sorgfältig in Klarsichttüten verpackt, warten die Funde darauf, näher untersucht zu werden. In 70 Zentimeter Tiefe graben Archäologe Marco Schrickel und die beiden Facharbeiter im Kreuzgang der Abtei St. Matthias und haben so manche Hinterlassenschaft von Mensch und Tier entdeckt. Eigentlich keine große Sache in Trier, und doch …
Nachdem Teil eins der umfangreichen Sanierungsarbeiten der alten Klosteranlage in Triers Süden Ende 2016 nach drei Jahren abgeschlossen wurde (der TV berichtete), könnten die Ergebnisse aus Phase zwei zu einigen Änderungen in der Klosterchronik führen. 640 Tonnen Erde und neuzeitlichen Plattenbelag (zehn LKW-Ladungen) hat die Firma Gorges aus Tawern aus den vier Flügeln des Kreuzganges herausgeholt, übers Dach weggeschafft und auf die Deponie gefahren.
"Wenn uns irgendwas verdächtig vorkam, gab es einen Stopp, und wir haben die Erde Schicht um Schicht abgegraben. Manchmal sind wir sogar 20 oder 30 Zentimeter tiefer gegangen", erklärt Grabungsleiter Marco Schrickel die Arbeitsweise. Zum Vorschein kommt die jahrhundertealte Geschichte des Kreuzganges, die sich etwa in den römischen Steinsarkophagen offenbart. Im Ostflügel hatten spätere Generationen eine Rohrleitung über einen Sarg gelegt. Einfach so. Vielleicht, weil ihnen das römische Gräberfeld aus dem vierten Jahrhundert nach Christus egal war, auf das die Abtei im Mittelalter einst gebaut wurde. "Gleich neben diesen Sarkophag wurde eine aus römischen Ziegeln hergestellte Abwasserleitung verlegt. Die geht sogar unter dem Pfeiler hindurch. Die Frage ist, aus welcher Zeit stammt sie tatsächlich? Wurde sie original gebaut oder das Material lediglich recycelt?," fragt sich Schrickel.
Auch die Knochenfunde geben einige Rätsel auf. Nach der Säkularisation (der Aufhebung der Klöster, siehe Info) im 19. Jahrhundert funktionierte die Familie von Nell, die auf dem Gelände einen Gutshof bewirtschaftete, den Ostflügel in ihren Pferdestall um. "Zahlreiche Knochen sind von Tieren", sagt Schrickel. Manche Gebeine nicht. Diese vielen Details zu entwirren, gehört zu den Aufgaben der Archäologen, die sich später speziell mit der Auswertung beschäftigen werden.
Ein mühseliges Unterfangen, wenngleich ein faszinierendes. Vor allem für Abt Ignatius Maaß, der fast täglich Neues über die Benediktinerabtei erfährt. Jetzt, wo der zementhaltige Mörtel aus dem 20. Jahrhundert vorsichtig von den Wänden entfernt wurde, blitzt hier und da ein Stück Restputz aus der Gotik auf - stark beschädigt allerdings wie das Fresko mit der Mariendarstellung über dem Zugang zur Sakristei. "Da hat die Trier-Gesellschaft zugesagt, uns bei der Restauration zu unterstützen", sagt Abt Ignatius, der sich über jede finanzielle Hilfe freut. Immerhin kostet Bauphase zwei mit vier Rohböden, Wandputz und der Restaurierung von Kapitellen, Pfeilern, Säulen und Schlusssteinen im Westflügel voraussichtlich rund eine Million Euro. Gut investiertes Geld für die "Herzensangelegenheit der Trierer" wie Kuratoriumsvorsitzender Helmut Schröer, ehemaliger Trierer Oberbürgermeister, die Baumaßnahme um St. Matthias gerne nennt. Vor allem eine, die manchmal sogar einem Abt den Atem stocken lässt. "Das ist ein spektakulärer Fund", sagt Schrickel und zeigt auf ein Stück braunen Boden im Nordflügel. "Der stammt definitiv aus einer Zeit vor dem 12. Jahrhundert. Wir haben ihn an drei Stellen nachweisen können."
Der Schluss liegt nahe, dass "das ganze Areal bereits vor dem 12. Jahrhundert systematisch bebaut war", sagt Abt Ignatius. Aber wie? Möglicherweise war dieses unscheinbare Stück Boden Teil eines früheren Kreuzganges, was tatsächlich eine kleine Sensation wäre. Bislang gingen die Chronisten stets davon aus, dass der Kreuzgang der Abtei St. Matthias aus der Frühgotik, also um 1200 nach Christus stammt, und in etwa so alt ist wie der des Trierer Doms. Neben den Böden ist darüber hinaus im Ostflügel auch noch eine vorgotische Mauer aufgetaucht. Marco Schrickel will dort weiter graben, vorausgesetzt die finanziellen Mittel sind vorhanden.
Wenn nicht, bleibt die Instandsetzung des Kreuzgangs dennoch eine Sanierung mit Überraschungseffekt. Für Abt Ignatius, aber auch für die Trierer.
Wer sich über die Fortschritte der Arbeiten im Kreuzgang der Abtei informieren möchte, kann dies am Sonntag, 10. September, zum "Tag des Denkmals" tun.
Extra: DIE GESCHICHTE VON ST. MATTHIAS

Steine, Sarkophage und Scherben
Foto: (h_st )
Steine, Sarkophage und Scherben
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Steine, Sarkophage und Scherben
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Die Benediktinerabtei St. Matthias existiert seit dem 5. Jahrhundert. Wie St. Maximin im Norden Triers liegt auch St. Matthias im Süden der Stadt auf einem römischen Gräberfeld. Die beiden ersten Trierer Bischöfe Eucharius und Valerius sind in der Krypta der Kirche bestattet (Ende 3./Anfang 4. Jahrhundert). Im Jahr 1127 entdecken Benediktinermönche bei Bauarbeiten die angeblichen Gebeine des Apostels Matthias und taufen das Gebäude Basilika St. Eucharius/St. Matthias. Der Steinsarkophag mit den Gebeinen lockt bis heute Pilgerströme zum einzigen Apostelgrab nördlich der Alpen. Der Kreuzgang von St. Matthias stammt mutmaßlich aus der Frühgotik (um 1200 nach Christus). 1802 wird das Kloster im Zuge der Säkularisierung (Trennung von Kirche und Staat) aufgehoben und teilweise zerstört. Nur weil die Abteikirche zur Pfarrkirche St. Matthias umfunktioniert wird, bleibt sie erhalten. Erst seit 1922 ist sie gleichzeitig wieder Abteikirche. Heute gehören noch 18 Brüder der Gemeinschaft an, wobei sieben von ihnen auf der Huysburg bei Halberstadt in Sachsen-Anhalt leben. Die Basilika St. Matthias ist für Besucher geöffnet, das Kloster kann nach Anmeldung besichtigt werden.

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