Stippvisite am Haus der Vorfahren

Zeltingen-Rachtig · Binnen weniger Wochen hat mit James Rowe ein zweiter US-Amerikaner die Heimat seiner um 1850 ausgewanderten Vorfahren von der Mosel besucht. Die Schuhmacherfamilie Stülp lebte allerdings nicht in Zeltingen, sondern in Rachtig.

 Ahnenforscher Werner Weber und Ortsvorsteher Franz-Josef Ames mit James Rowe (von links), einem Nachfahren Rachtiger Auswanderer, und dessen Ehefrau Nancy. Das Haus von Rowes Vorfahren stand zwischen dem Dorfladen und dem Haus rechts daneben. TV-Foto: Ursula Schmieder

Ahnenforscher Werner Weber und Ortsvorsteher Franz-Josef Ames mit James Rowe (von links), einem Nachfahren Rachtiger Auswanderer, und dessen Ehefrau Nancy. Das Haus von Rowes Vorfahren stand zwischen dem Dorfladen und dem Haus rechts daneben. TV-Foto: Ursula Schmieder

Zeltingen-Rachtig. James Rowe ist nicht zum ersten Mal in Deutschland gewesen. Doch seinen jüngsten Besuch wird der US-Amerikaner wohl nie vergessen. In Rachtig stand der Professor für Rechtswissenschaften dort, wo seine Vorfahren (siehe Extra) einst lebten. 1852 wanderte die komplette Schuhmachermacher-Familie Stülp aus, was damals keine Seltenheit war. Allein in Rachtig und Zeltingen kehrten Dutzende Menschen ihrer Heimat den Rücken. Was sie trieb, waren Armut und fehlende Perspektiven in einem nach der gescheiterten Revolution stagnierenden Land.
Dorf geschichte(n)


Auch Rowes Vorfahren lebten in bescheidenen Verhältnissen. Laut einer Karte von 1829 war das Haus wohl nur sechs auf sechs Meter groß. Es stand neben dem heutigen Dorfladen und war viele Jahre Sitz eines Fuhrunternehmens.
Peter Stülp war bereits 56 Jahre, als er seine Heimat - zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau - verließ. Mit ihm wanderten alle Kinder aus: Johann (33), Rowes Ur-Ur-Großvater, und die Zwillinge Matthias und Barbara (26). Der Zweitgeborene Jakob lebte bereits seit drei Jahren in Amerika, von wo aus er die Familie finanziell unterstützte. Was der Vater dem 25-Jährigen mitgegeben hatte, zahlte der binnen zwei Jahren zurück. So konnte die Familie 400 Taler sparen und erhielt eine Ausreisegenehmigung.
Rowe (70) ist glücklich, nun seine ursprüngliche Heimat, ein "malerisches Dorf", wie er findet, kennengelernt zu haben: "Ich war sehr aufgeregt zu sehen, wo sie früher lebten." Das Haus, aus dem Stülps Frau stammte, ist zwar einem modernen Gebäude gewichen. Vom Schumacherhaus, das bis Mitte des vorigen Jahrhunderts stand, ist der Zerfall überliefert: Während eines Hochwassers brach die vordere Front ab, samt dem davor rankenden Rebstock, wie sich ältere Rachtiger erinnern. Während Rowe in seiner jetzigen Heimat in New Jersey nur wenige Cousins kennt, übernachtete er in Rachtig sogar zufällig bei einer weitläufigen Verwandten. Außerdem lernte er Rachtigs Ortsvorsteher Franz-Josef Ames kennen, der sich über das Interesse freut: "Ich finde es toll, dass Leute die alte Heimat ihrer Vorfahren kennenlernen wollen."
Seine Heimreise trat Rowe mit einem historischen Foto an, das er bisher nicht kannte. Es zeigt Auswanderer Johann mit Sohn John "Stilp" und Enkel Fred, Rowes Großvater. Dessen Tochter Mary Catherine, Rowes Mutter, war also noch eine geborene Stilp. Ihrem Sohn hatte sie einen Stammbaum hinterlassen, der sich beim Besuch in Rachtig als aufschlussreich erwies. "Sie machte den ersten Schritt", weiß Rowe seine Reise zu den Wurzeln der Familie zu schätzen: "Dieser Urlaub ist einfach wunderbar", ist er dankbar für die Unterstützung des Zeltinger Ahnenforschers Werner Weber, den er über dessen Internetseite kennenlernte.
Dort sind etwa 170 Datensätze von Auswanderern beider Ortsteile eingestellt, was beständig das Interesse von deren Nachfahren weckt. So besuchte kürzlich ein US-Amerikaner seine bisher unbekannten Zeltinger Verwandten.
Extra

Familiengeschichte: Peter Stülp wurde 1796 im damals französischen Rachtig geboren. Wie sein Vater war er Schuhmacher. Mit 16 Jahren wurde er von Napoleon für den Russlandfeldzug rekrutiert. Ausgezeichnet mit dem Kreuz der Ehrenlegion kämpfte er drei Jahre später auf preußischer Seite gegen Napoleon - in der Schlacht bei Waterloo erneut auf der Siegerseite, wofür er das Eiserne Kreuz bekam. Sein jüngerer Bruder Jakob wanderte 1849 aus, der Rest der Familie drei Jahre später. Zuerst lebten sie wie Jakob in Milwaukee (Wisconsin), später im 150 Kilometer entfernten County Winneboga, wo es noch heute viele Stilps gibt. Peter und seine Söhne arbeiteten zeitlebens als Schuhmacher, hatten in Amerika aber ein gutes Auskommen. Auch ein Enkel lernte den Beruf, ein zweiter arbeitete in einem Schuhgeschäft. Enkelin Margreth Stilp heiratete Frank Jacob Sensenbrenner, Präsident des Konzerns Kimberly-Clark (Cleenex/Servus). Zwei weitere Enkel gründeten die Zigarrenfabrik "Stilp Cigar Factory". Jakob galt in seiner neuen Heimat als bewundernswerter Pionier. Sein Vater Peter hat es wohl ebenfalls nicht bereut, ausgewandert zu sein. Während seine Frau mit 57 Jahren starb, wurde er 90 Jahre alt und sah viele seiner immerhin 23 Enkel aufwachsen. urs

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