Synagoge: Die architektonische Mischung macht's

Wittlich · 1910 als Synagoge von der jüdischen Gemeinde erbaut, ist das Gebäude heute Gedenk- und Kulturstätte. Von ihrer Architektur- und Liturgiegeschichte berichtete René Richtscheid vom Emil-Frank-Institut bei einer der halbjährlich angebotenen Führungen für Einzelpersonen.

 René Richtscheid zeigt den Besuchern der Wittlicher Synagoge die einzige erhaltene Torarolle, die im Vorraum unter Glas liegt. TV-Foto: Sybille Schönhofen

René Richtscheid zeigt den Besuchern der Wittlicher Synagoge die einzige erhaltene Torarolle, die im Vorraum unter Glas liegt. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Wittlich. Die 250 Personen starke jüdische Gemeinde hatte die übliche Wahl: Sollte ihre Synagoge dem romanischen oder maurischen Stil nachempfunden werden? Die Gemeinde entschied sich für die deutsche Romanik. Sie wollte damit ein Bekenntnis abgeben. Wir gehören zu Deutschland. So entstand nach dem Vorbild der Wormser Synagoge aus dem 12. Jahrhundert ein neoromanisches Bauwerk. Zumindest im unteren Teil mit Sichtmauerwerk, Gewänden um die Fenster und Stufenportal. Im oberen Teil ist sie ein Kind ihrer Zeit, in der der Jugendstil modern war, den der Architekt Johannes Vienken aus Darmstadt mitbrachte. Wittlich könne sich rühmen, die zweite Synagoge zu sein, die in Deutschland im Jugendstil vollendet wurde, so Richtscheid.
Auch innen sind die Baustile gemischt. Es gibt neoromanische Bögen sowie Säulen und Kapitelle neben einer Wandbemalung mit den ornamentalen Formen des Jugendstils.
Im Grundriss orientiert sich die Synagoge an der christlichen Kirche. Statt wie bislang üblich auf einem Podest in der Mitte des Raumes, gab es für das Gemeindemitglied, das die Psalmen vorbetete und aus der Tora las eine Kanzel, die in einem Chor aufgestellt war, direkt vor dem Toraschrein in der Apsis. Nachweislich wurde in Wittlich auch der für christliche Kirchen typische Gesangschor und die Orgelmusik eingeführt. Sie kam von einem Harmonium, das auf der Empore stand. Dort saßen auch die Frauen, während die Männer ihre festen Plätze unten hatten.
Dass die Synagoge heute profan als Veranstaltungssaal genutzt wird, ist nach jüdischem Glauben kein Problem, erklärte Richtscheid. Denn im Unterschied zur Kirche gilt das Gebäude nicht als heilig. sys

Extra

500 bis 1000 Besucher nehmen jedes Jahr an einer Gruppenführung in der Wittlicher Synagoge teil, zumeist Schulklassen. Gruppenführungen gibt es ein- bis zweimal pro Woche. Für Einzelpersonen bietet das Emil-Frank-Institut nur zweimal im Jahr die Möglichkeit, bei einem Ortstermin etwas über Geschichte, Architektur und Liturgie in der Synagoge zu erfahren. Gruppen können beim Emil-Frank-Institut einen Termin unter der Telefonnummer 06571/260124 vereinbaren. Die nächste Führung für Einzelpersonen wird voraussichtlich im September stattfinden. Regelmäßige Führungen zu festen Zeiten wurden wegen mangelnden Interesses abgeschafft. Einzelpersonen haben am Freitag, 15. Juni, 16.30 Uhr, die Möglichkeit, an einer Führung in der Schweicher Synagoge teilzunehmen. sys

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