Tabu-Krankheit der Leistungsgesellschaft

Über das Krankheitsbild Depression aufklären, die Symptome bekannt und fachgerechte Hilfe möglich machen, das will das neue "Bündnis gegen Depression" im Kreis. Auftaktveranstaltung ist im April in Wittlich - unter anderem mit Michael Preute alias Jacques Berndorf.

Wittlich. Allein in Wittlich haben sich im Jahr 2007 17 Menschen (vier Frauen, 13 Männer) umgebracht,, 2008 waren es 19 (vier Frauen 15 Männer). Bundesweit steigen die Zahlen. Studien belegen: Bei Selbsttötung (Suizid) ist eine Depression Hauptursache. Wie viele Menschen im Kreis unter ihr leiden, ist unbekannt. Man geht aber davon aus, das 15 bis 20 Prozent ein Mal in ihrem Leben von Depression betroffen sind. Das ist fast jeder Fünfte. Denn es geht nicht um ein seltenes Phänomen, sondern um die Volkskrankheit der Leistungsgesellschaft. Dass man erfolgreich etwas gegen sie tun kann, zeigt die Stadt Nürnberg.

Dort wurde vor zehn Jahren das "Bündnis gegen Depression" gegründet, eine breit angelegte Aufklärungs- und Hilfskampagne. Das Gleiche will man jetzt auch im Landkreis Bernkastel-Wittlich leisten. Ein Argument für das Bündnis: In Nürnberg gingen unter anderem die Suizide und Suizidversuche im Vergleich zu einer Kontrollregion um 25 Prozent zurück. Aufklärung ist wichtig.

Auf die Frage: "Eine Krankheit mit D?" fällt vielen eher Diabetes ein als Depression. "Ich hab' Zucker", sagt man leichter als "ich hab' eine Depression." Die schwerwiegende Krankheit bleibt oft unerkannt und damit unbehandelt. Prominentes Opfer war beispielsweise Torwart Robert Enke. Sein Tod gab dem Tabu-Leiden ein prominentes Gesicht, die versteckte Volkskrankheit rückte ins Licht der Öffentlichkeit.

Was geblieben ist: Nur eine Minderheit der Betroffenen erhält eine Behandlung, eine wirksame Therapie. Häufig wissen die Kranken selbst nicht, woran sie leiden. Auch der Hausarzt kann leicht übersehen, dass sich eine Depression hinter anderen Symptomen wie schlaflosen Nächten oder auch Alkohol- und Medikamenten-Missbrauch verbergen kann. Nicht nur das soll sich im Kreis ändern. "Ziel des Bündnisses ist, zu sensibilisieren: Was ist Depression. Was können Symptome sein? Ziel ist auch, das Krankheitsbild sozusagen gesellschaftsfähig zu machen", sagt Christian Knopp vom Gemeindepsychiatrischen Betreuungszentrum Leistner Haus in Bernkastel-Kues. Der Diplom-Psychologe sagt: "In der Leistungsgesellschaft muss man funktionieren. Wenn es dann jemandem schlecht geht, und er weiß, dass keiner Verständnis dafür hat, weil es die Depression in den Köpfen der anderen nicht gibt, heißt das: Es ist immer noch eine Krankheit, für die um Verständnis und Akzeptanz in der Gesellschaft geworben werden muss." Betroffenengruppen, gemeindepsychiatrische Beratungsstellen, Krankenhaus, Kreisverwaltung, Lebensberatungsstellen, Psychiater, Altenheime sind im Bündnis gegen Depression eingebunden. Es wird Vorträge beispielsweise in Schulen, Altenheimen, Verwaltungen, Industrie, bei Personalverantwortlichen geben, um Multiplikatoren zu erreichen, die mithelfen, eine bessere Erkennung und schnellere Behandlung möglich zu machen. Fortbildungen für Ärzte und Apotheker sind ebenso geplant. "Wenn jemand etwa Schlafmittel kauft, kann man in der Apotheke drei, vier Fragen mehr stellen und bekommt eine Ahnung, ob da noch was anderes im Busch ist, etwa eine Depression", erklärt Christian Knopp, der sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Projekts kümmert und auch erklärt, warum die Krankheit jetzt in den Fokus rückt: "Es ist doch immer so: Wenn es bedrohlich wird aufgrund der steigenden Fallzahlen, fängt man an, Aufklärungsarbeit zu machen." Die startet dann offiziell im April mit einer Veranstaltung in der Synagoge. Ein prominenter Fürsprecher für die Aktion steht schon fest. Michael Preute, besser bekannt als Eifel-Krimi-Autor Jacques Berndorf. Extra Das "Deutsche Bündnis gegen Depression" ist ein Verein mit folgenden Zielen: die gesundheitliche Situation depressiver Menschen zu verbessern und das Wissen über die Krankheit in der Bevölkerung zu erweitern und Suiziden vorzubeugen. Über 60 Städte und Kommunen haben sich dem Bündnis, das seinen Ursprung in Nürnberg hat, angeschlossen und engagieren sich auf lokaler Ebene, wie nun auch im Landkreis Bernkastel-Wittlich. Durch Spenden von Stiftungen, Firmen und Privatpersonen trägt sich das Projekt im Kreis selbst, es wird auf das bundesweit bewährte Vorgehen und die Materialien des "Deutschen Bündnisses gegen Depression" zurückgegriffen (Schulungen, Vorträge, Aufklärung durch Kinospots, Plakat-Aktionen). Die Kernbotschaften sind: Depression kann jeden treffen, Depression hat viele Gesichter, Depression ist behandelbar. Weitere Infos: www.buendnis-depression.de (sos)

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