Tante Irma schickt Grüße zum Geburtstag

Nach 49 Jahren hat die Post eine Geburtstags-Grußkarte zugestellt. Sie war 1960 auf dem Weg von Mackenrodt (Kreis Birkenfeld) zu ihren Adressaten nach Hannover verloren gegangen. Jetzt kam sie an - in Mackenrodt.

 Endlich kann Bernd Conradt (mit seiner Frau Marianne) jenen Geburtstagsgruß in der Hand halten, den ihm seine Tante Irma 1960 zukommen lassen wollte. Foto: Conradt

Endlich kann Bernd Conradt (mit seiner Frau Marianne) jenen Geburtstagsgruß in der Hand halten, den ihm seine Tante Irma 1960 zukommen lassen wollte. Foto: Conradt

Mackenrodt/Hannover. Die Postkarte ist vergilbt und am Adressfeld eingerissen. Tante Irma wünscht ihren Neffen Walter und Bernd herzliche Grüße zum "bald vergessenen" Geburtstag, steht da. Das Schwarz-Weiß-Bild auf der Rückseite zeigt eine Löwenfamilie. So richtig konnte niemand der Bewohner in der Gabelsberger Straße 10 in Hannover etwas mit dieser Karte anfangen - noch dazu, da sie aus einer fast vergangenen Zeit zu stammen schien. Zehn Pfennige stand auf der Briefmarke, der Poststempel weist Idar-Oberstein als "Stadt der Edelsteine und des guten Schmucks" aus - so einen Poststempeleindruck gibt es heute gar nicht mehr.

Ein paar Tage stand die Karte verloren auf den Postkästen im Hauseingang, dann schaute Hausbesitzerin Ingrid Struss noch einmal genauer hin. Erst da sah sie: Der Poststempel datierte vom 22. Februar 1960. Adressiert ist die Karte an "Walter und Bernd Conradt, Gubelbergerstr. 16" - wohl deshalb landete sie im Briefkasten von Sabine Conradt, sechs Hausnummern weiter.

"Aber ich kenne in unserer Verwandtschaft weder einen Walter noch einen Bernd Conradt - und 1960 war ich noch gar nicht geboren", sagte sie dem Reporter der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (HAZ). Auch bei der Post konnte sich niemand Verbleib und Wiederauftauchen der Karte erklären, auch die Adressaten blieben ein Rätsel.

Als Eva Schollmeyer den Bericht in der HAZ über den Postkartengruß aus der Vergangenheit las, traute sie ihren Augen nicht. Sie erkannte auf Anhieb ihren Bekannten Bernd Conradt und dessen verstorbenen Bruder Walter. Beide wohnten zu jener Zeit - 1960 - in der Gabelsberger Straße, nur einige Häuser entfernt von der jetzigen - falschen - Zustelladresse. Aufgeregt rief Eva Schollmeyer bei Familie Conradt an, die seit 1968 in Mackenrodt lebt. Die heute 79-Jährige war die Kindergärtnerin der beiden Brüder und eine gute Freundin der Mutter Gisela Conradt. Eva Schollmeyer erzählte am Telefon von dem Zeitungsbericht und rief auch Ingrid Struss an. Die steckte die fehlgeleitete Post in ein Kuvert und schickte sie nach Rheinland-Pfalz. "Von Hannover nach Mackenrodt brauchte sie nur einen Tag", wundert sich Bernd Conradt. "Wieso hat sie nur von hier nach Hannover 49 Jahre gebraucht?"

Geschrieben hatte die Karte Irma Wahl aus Mackenrodt, die Tante wollte den beiden Brüdern "verspätet" zum Geburtstag gratulieren - sie war gerade mit dem Umzug in ihr neues Haus in der Ringstraße beschäftigt, wohl deswegen hatte sie die Geburtstage der beiden vergessen: Bernd wurde am 21. Februar 1960 zehn Jahre alt, Walter einen Tag später 14. Von diesem Tag datiert der Poststempel, der übrigens damals noch in der Mackenrodter Poststelle aufgedrückt wurde.

Doch wo hat die Karte gesteckt? Dass der Gruß ihre Neffen doch noch erreicht, erlebte Tante Irma nicht mehr - sie starb vor zehn Jahren. Am selben Tag, als die Karte endlich in Mackenrodt ankam, befand sich auch ein Brief von einem alten Freund Bernd Conradts aus Hannover im Briefkasten - darin lag die HAZ mit dem Bericht über die verirrte Postsendung. Bis 1969 wohnte die Familie Conradt mit sechs Kindern in der Gabelsberger Straße 16 in Hannover, bevor sie in die Heimat von Vater Philipp nach Mackenrodt zog. Von Beruf war dieser - Postbeamter.

"In unserem Haus war sogar die offizielle Poststelle des Viertels", wundert sich Bernd Conradt, warum man 1960 die Adressaten nicht ausfindig machen konnte, hatte sich Tante Irma doch nur um ein paar Ziffern vertan und aus dem "a" ein "u" gemacht.

Auch eine andere Frage bleibt ungeklärt: Wo hat die Postkarte 49 Jahre lang gesteckt? Auch der Hannoveraner Postsprecher Martin Grundler hält 49 Jahre für rekordverdächtig. "Eine längere Zustellzeit ist mir nicht bekannt." Allerdings glaubt der Postler nicht, dass sein Unternehmen für die Verzögerung verantwortlich ist. "In der Regel laufen solche Sachen anders ab: Jemand findet die alte Karte beim Aufräumen oder bei einer Wohnungsauflösung und kann nichts damit anfangen. Dann wirft er sie manchmal einfach in den nächsten Briefkasten." Von dort wird sie in eines der 82 Briefzentren transportiert. Dort wird versucht, den Adressaten ausfindig zu machen. Ein weißer Aufkleber auf der alten Postkarte zeugt davon, dass im Briefzentrum 30 in Pattensen damals die Adresse Sabine Conradts ermittelt wurde - nur drei Häuser vom Domizil der richtigen Conradts entfernt.

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