Umstrittene Scherl-Werke sind kein Tabu

Jeder soll sich seine Meinung bilden können. Das will die Stadt Wittlich laut Bürgermeister Joachim Rodenkirch mit der Ausstellung zum 100. Geburtstag von Hanns Scherl erreichen. Neben bekannten Plastiken und unbekannten Zeichnungen werden auch umstrittene Werke der Nazizeit gezeigt.

Wittlich. Heftig wurde im Vorfeld der Ausstellung zum 100. Geburtstag von Hanns Scherl über die Frage diskutiert, ob der Bildhauer der Nazi-Ideologie nahe stand und wie in der Schau mit diesem Thema umgegangen wird. "Wir wollen die Nazi-Zeit nicht ausblenden", sagte Wittlichs Bürgermeister Joachim Rodenkirch bei einer Pressekonferenz am Freitag in der Galerie im Alten Rathaus. Jeder solle sich seine Meinung bilden.

20 Werke aus der Zeit von 1929 bis 1945



An die 20 der von Kuratorin Eva-Maria Reuther ausgewählten 80 Werke stammen aus der Zeit von 1929 bis 1945. Zu den besonders umstrittenen Arbeiten gehört "Der Opferring des Kreises Wittlich", ein Buch von 1936 mit Holzschnitten von Hanns Scherl. Das Buch wird zusammen mit Erklärungen zur Lage der Presse und der Kultur unter der Nazi-Herrschaft in einer Glasvitrine gezeigt. Ebenso wie ein Foto des Reliefs "Schaffende Jugend", das zur Wanderausstellung des Gaues "Moselland" 1941/1942 gehörte.

Neben der Vitrine liegen die beiden laut Reuther neuesten Veröffentlichungen zur Frage, inwieweit der regionale Kunstbetrieb der Nazi-Ideologie einst nahe stand. Der Aufsatz des promovierten Historikers Thomas Schnitzler aus dem Kurtrierischen Jahrbuch befasst sich mit der Instrumentalisierung der bildenden Künste im "Gau Moselland". Schnitzler erwähnt Scherl dort nur am Rande, vertritt heute aber die Meinung, der Bildhauer habe "die Künstlerschaft im Sinne der NS-Ideologie in seinen Werken voll und ganz" umgesetzt. Der andere Aufsatz stammt von Franz-Josef Schmit, der nach dem Studium von Quellen zu dem Schluss kommt, Scherl sei zwar NSDAP-Mitglied gewesen, ihn als ,Nazi-Künstler' zu bezeichnen, sei jedoch unangebracht und diffamierend.

"Wir wollen, dass Kunst und Kultur Brücken schlagen"



Die übrigen Werke werden wenig oder fast unkommentiert gezeigt. Reuther sagte: "Die Werke sollen für sich selbst sprechen." Als Beispiele für Motive, die bei den Nazis verpönt waren, nennt die Kuratorin zwei aquarellierte Russlandzeichnungen aus den Jahren 42 und 43: das blaue Pferd und die Frauen bei der Ernte zusammen mit Beinamputierten.

Zur Debatte über die Unvereinbarkeit der angeblich nationalsozialistisch gefärbten Scherl-Werke mit denen des Glaskünstlers Georg Meistermann, die zur Änderung des Museumsnamens geführt hatte, meinte Rodenkirch: "Wieso wird diese Debatte jetzt geführt?" In der Markuskirche treffe der Besucher auf Werke beider Künstler. Wäre die Abneigung der beiden Männer so groß gewesen, hätten sie ihre Kunst nicht für dasselbe Gebäude angefertigt. Rodenkirchs Wunsch für die Zukunft lautet: "Wir wollen, dass Kunst und Kultur auch wieder Brücken schlagen."

Vor allem Bronze-Plastiken, aber auch Zeichnungen werden in der Ausstellung gezeigt. Der Kuratorin ging es nach eigenen Aussagen darum, die beiden Wesenszüge, die Scherls Werk bestimmen, darzustellen: die Religiosität und das Interesse am Menschen.

Zur Eröffnung der Scherl-Ausstellung im Alten Rathaus am Sonntag um 11 Uhr spricht Kuratorin Eva-Maria Reuther.

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