Unbeliebter Finanzverwalter

ENKIRCH. Wer sich einmal die Mühe macht, Familiennamen und deren Herkunft zu erforschen, stößt mit ziemlicher Sicherheit auf erstaunliche und oft außergewöhnliche Anfänge. Neben den Ortsnamen, die vielen Familien ihre Herkunft verraten, gibt es eine ganze Reihe von Berufs- und Tätigkeitsnamen, die von unseren Vorfahren ausgeübt wurden, zu denen wir aber heute kaum noch eine Beziehung haben.

Ein Beispiel für die Familiennamen, die über eine Tätigkeit der Vorfahren Auskunft geben sind die Namen Zender, Zenner oder Zehender. In der Schreibweise sind sie zwar verschieden, in der Tätigkeit beschreiben sie aber den selben Beruf. Vom 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts war dies der offizielle Titel des Finanzverwalters in Enkirch. Die Berufsbezeichnung war damals mit Gefälleverrechner angegeben. In Süddeutschland wurde er mit den Worten "der für den Grundherrn den Zehnten erhebt" umschrieben. Aus der angegebenen Zeit sind auch die ZennereiRechnungen bekannt, die im Landeshauptarchiv in Koblenz liegen. Zender für ein Jahr

Der verstorbene Heimatforscher Hans Immich-Spier hatte mich gebeten, den Begriff "Altzender" zu klären. Über viele Jahre hinweg habe ich dann diese Rechnungen ausgewertet und bin dabei auf eine außergewöhnliche, aber trotzdem funktionierende Finanzverwaltung gestoßen. Die Zender in Enkirch wurden an Osterdienstag immer nur für ein Jahr gewählt. Am Osterdienstag des folgenden Jahres mussten sie die Abrechnungen oder "Gefälle", also Einnahmen und Ausgaben vorlegen. Da jeder Zender für diese Gefälle persönlich haftbar war, kam es in vielen Fällen zu einer heute unvorstellbaren Besonderheit. Hatte der Zender offene Außenstände, also nicht eingenommene Steuern oder sonstige Zahlungen, konnte er mit seiner Abrechnung nicht entlastet werden. Er wurde nun solange nicht aus der Verantwortung entlassen, bis er das fehlende Geld eingetrieben hatte. Da er dann nicht mehr offiziell im Dienst war, wurde ihm der Titel "Altzender" verpasst. Die längste Altzenderzeit habe ich mit fünf Jahren gefunden, in einem Abrechnungszeitraum von etwa 20 Jahren. Das heißt, der Mann hat fünf Jahre gebraucht, um auch seinen letzten ausstehenden Pfennig einzunehmen. Bei den Ortsführungen wird diese Besonderheit mit ungläubigem Staunen vernommen und mit dem Kommentar, "dann hätten wir heute keinen Finanzminister mehr", bedacht. Man könnte es ja mal versuchsweise wieder einführen, oder? Wenn auch Sie eine historische Anekdote kennen, den Namen eines Hauses oder einer Straße erklären können oder zu einem historischen Ereignis eine persönliche Geschichte zu erzählen haben, schreiben Sie unter dem Stichwort "Stadtgeschichten" mit Namen, Adresse und Telefonnummer an die E-Mail-Adresse mosel@volksfreund.de. Wichtig ist, dass Ihre Geschichte höchstens 60 Druckzeilen (à 30 Anschlägen) umfasst. Hans-Dieter Georg, Enkirch

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