Und die Politik bleibt draußen

Wittlich · Die riesige Hela-Halle ist menschenleer. Davor stehen Zelte. In zweien davon leben seit Donnerstag 97 Flüchtlinge: Die neue Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende, AfA, in Wittlich, die bis Jahresende vermutlich 1500 Menschen Unterkunft bieten soll, ist in der Aufbauphase. Es muss noch viel improvisiert werden.

Und die Politik bleibt draußen
Foto: klaus kimmling (m_wil )

Wittlich. "To be or not to be…”, Sein oder Nichtsein: Das Zitat aus Shakespeares Tragödie Hamlet spricht die 27-jährige Falak aus. Die Syrerin war zehn Tage übers Meer und im Bus unterwegs. Jetzt sitzt sie auf einer Bierzeltbank in einem weißen Zelt. In einer Ecke vor ihr steht ein Tisch mit Steckdosen. Dort laden Menschen ihre Mobiltelefone auf. Daneben stapeln sich Wasserflaschen. Ein paar Kinder spielen in einer weiteren Ecke, und um Falak herum gruppieren sich schnell schweigend Männer, Frauen, Kinder.
"They take care of us"


Viele verstehen nicht, was die Syrierin erzählt, aber sie schauen zu. Viel Abwechslung gibt es ja sonst nicht im Zelt. Falak selbst spricht fließend Englisch. Englische Literatur hat sie in ihrer Heimat studiert, Lehrerin wollte und will sie werden. Jetzt ist sie geflohen. Nach Deutschland. Weil man hier "the human being" respektiere, den Mensch als Menschen sehe, wie sie sagt. Sie sagt auch: "They take care of us. Thank you." Hier werde auf sie aufgepasst, Dankeschön.
Auf die Frage, was sie dazu sage, dass in Deutschland nicht mehr überall Flüchtlinge willkommen seien, blickt sie verwundert auf: Sie wisse nur, dass viele kommen wollten. Die provisorischen Unterkünfte wie in Wittlich im Zelt, das sei alles annehmbar. Sie sei sehr dankbar. Das kurze Gespräch mit der jungen Frau findet im Verpflegungszelt der AfA statt.
Drei Mal amTag gibt es hier etwas zu essen. Am heutigen Mittwoch soll es nach Plan Nudeln mit Tomatensoße und Joghurt geben. Ansonsten dient der Raum zum Aufenthalt. Neben dem Essensplan hängt am Eingang auch die Hausordnung auf Deutsch, Englisch und Arabisch aus. Draußen regnet es, es wird kälter. Ein paar Meter weiter stehen die zwei Zelte, die getrennt voneinander allein reisenden Männern und Familien ein Dach unterm Kopf bieten. Auf dem Boden, der tiptop sauber ist, sind die Fluchtwege, die frei bleiben müssen zwecks Brandschutz, abgeklebt. Manches Hochbett ist nach unten verhangen, um ein wenig Privatsphäre zu schaffen. Mehr geht nicht. Dabei ist es jetzt noch gerade so erträglich. Hier könnten theoretisch 260 Menschen schlafen. Aktuell sind es 97, auch deshalb kann das AfA-Projekt relativ entspannt anlaufen. Denn es gibt noch viel zu tun. "Wir haben zum Beispiel immer noch Probleme mit dem Trinkwasser", sagt Axel Schaumburger, der die AfA leitet. Er ist im Hauptjob Leiter der Arbeitsverwaltung in der Justizvollzugsanstalt Zweibrücken (der TV berichtete). Er sagt: "Es finden sich immer wieder neue Leitungen auf dem Gelände, die unter anderem wegen der Legionellengefahr gespült und desinfiziert werden müssen. Solange gibt es Wasser aus Flaschen."
Duschen in Turnhallen


Auch die Duschcontainer im vierten Zelt stehen noch nicht. Die Toiletten- und Waschanlage ist ebenfalls im Aufbau. Deshalb gehen die Menschen abends in die Turnhallen der benachbarten Schulen zum Waschen und Duschen. Die drei Toilettenwagen auf dem Gelände sind Provisorien. Im verglasten ehemaligen Gartencenterbereich soll ein Spielraum für Kinder und einer für ersten Spracherwerb entstehen. Noch ist alles leer. Dass einmal 1500 Menschen auf dem Ex-Hela-Gelände Platz finden sollen, und Schaumburger rechnet damit, dass es Mitte/Ende Dezember so weit sein wird, ist eigentlich unvorstellbar.
Es muss noch viel gestemmt werden. In der kahlen Baumarkthalle unter den meterlangen Neonröhren stehen schon viele Hochbetten. Davor ein Berg Kartons, gefüllt mit Bettwäsche. Wie viele, weiß keiner genau. Es werden noch mehr. Darum kümmert sich die Entwicklungsagentur im Auftrag des Landes. Auch um den Aufbau der Sanitäranlagen. Trockenbauer sind dabei, Bereiche der Halle abzutrennen. "Das soll dann sozusagen schlüsselfertig an uns übergeben werden", sagt Axel Schaumburger. Draußen der Parkplatz ist bis auf die Zelte noch komplett leer. Hier sollen einmal Containerunterkünfte hin. Wann das sein wird? Termin unbekannt. Bis jetzt funktioniere auch dank der noch überschaubaren Zahl der Flüchtlinge alles reibungslos, sagt Thomas Thiel, Schaumburgers Stellvertreter.
Gespannt auf ersten Schnee

 Alle Kinder spielen gern: In der AfA ist dafür eine kleine Ecke reserviert.

Alle Kinder spielen gern: In der AfA ist dafür eine kleine Ecke reserviert.

Foto: klaus kimmling (m_wil )
 So sieht es im Baumarkt aus: Hochbett an Hochbett, noch keine Trennwände.

So sieht es im Baumarkt aus: Hochbett an Hochbett, noch keine Trennwände.

Foto: klaus kimmling (m_wil )


Mit Hilfe von Übersetzern hat Schaumburger gemeinsam mit dem DRK, das sich unter anderem um die ärztliche Versorgung und später etwa die Kleiderausgabe kümmert, allen Flüchtlingen die Hausordnung erklärt, sich Fragen der Flüchtlinge gestellt. Was waren zentrale Fragen? Einmal, wann es das wöchentliche Taschengeld gebe, das je nach Stand etwas mehr als 30 Euro betrage; dann wie lange man in der AfA bleibe, geplant sind jetzt vier Wochen, und was man arbeiten könne. Es gibt Jobs: als Dolmetscher, Reinigungskraft, im Mülldienst. 1,05 Euro die Stunde werden gezahlt. "Ich bin echt gespannt auf den Winter, wenn es auch ums Schneeräumen geht", sagt Axel Schaumburger. Bis dahin ist Falak vielleicht längst woanders. Was woanders passiert, weiß sie auch. Per Internet ist sie über die Attentate in Paris informiert. Sie ist davon schockiert. In der AfA sei das aber kein Thema: "We shouldn't talk about policy." Über Politik solle hier nicht gesprochen werden.

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