"Unser Hannes braucht sich nicht verstecken"

HUNSRÜCK. Uwe Anhäuser hat sich im Rahmen seiner Recherche für sein Buch "Schinderhannes und seine Bande" intensiv mit der berüchtigten Räuberbande beschäftigt. Was ist das Faszinierende an den historischen Kriminellen? Und was hat der Autor über sie herausgefunden?

Was ist für Sie der Grund dafür, sich so intensiv mit Schinderhannes und seiner Bande zu beschäftigen? Anhäuser: Weil noch überall im Hunsrück unzählige Anekdoten vom Schinderhannes und seiner Bande erzählt werden, drängte sich mir immer wieder die Frage nach dem Wahrheitsgehalt dieser Kriminalfälle auf. Als zum 200. Todesjahr des vermeintlichen Rebells eine Vielzahl größtenteils folkloristischer Veranstaltungen angekündigt wurde, wollte ich einen Beitrag zum besseren Verständnis der Geschichte leisten. Es soll einen Ein- und Überblick des Hunsrücker Bandenunwesens zwischen 1793 und 1803 ermöglichen. Die Figur des Schinderhannes ist für viele Interpretationen benutzt worden: der politische Rebell oder - ganz romantisch - als Robin Hood des Hunsrücks. Wie sehen Sie den Johannes Bückler und seine Getreuen? Anhäuser: Das Hauptproblem fast aller bisherigen Publikationen über Schinderhannes und seine Bande war ja die absichtsvolle Zuordnung des angeblichen "Helden" oder "Schurken" in ein jeweils zeitgeistig getrübtes Weltbild. Solch pseudowissenschaftlichen Etikettenschwindel spiegelt auch der berühmte Schinderhannes-Spielfilm mit Maria Schell und Curd Jürgens als Hauptdarstellern. Wie waren die Räuber denn wirklich? Anhäuser: Johannes Bückler und seine Getreuen waren aus den unterschiedlichsten Gründen zu Gesetzesbrechern geworden. Sie ließen sich weder von Edelmut noch von politischen Motiven leiten. Vielmehr lebten sie, wie es damals hieß, "aus der Faust und durch die Faust". Brutal, gerissen und rücksichtslos. Als Einzelne nur selten mutig, doch in der Gruppe meist superstark, zumal wenn reichlichst genossener Alkohol den Tatendrang beflügelte. Was interessiert sie besonders an den Getreuen des Räuberhauptmanns? Anhäuser: Bevor Schinderhannes und 19 seiner Spießgesellen in Mainz geköpft wurden, sprach er als letzte Worte, die von mehreren Zeugen gleich lautend aufgezeichnet wurden: "Ich sterbe willig, ich habe den Tod verdient; aber von diesen", indem er auf die übrigen zeigte, "sterben wenigstens zehn unschuldig". Ich bin überzeugt, dass Bückler mit seiner Einschätzung Recht hatte. Zum Beispiel? Anhäuser: Beispielsweise der "Husarenphilipp" aus Wickenrodt, der wahrscheinlich nur ein kleiner Gauner, jedoch ein "guter Kumpel" war. Für zwei Botengänge und zwei oder drei Mal Schmiere stehen hat man ihm den Kopf abgehackt. Sind neben dem bekannten "Julchen" auch andere Frauen in der Bande gewesen? Und welche Rolle hatten Sie? Anhäuser: Die erhebliche Bedeutung des Alkohols als Mutmacher habe ich bereits erwähnt. Und die Rolle verschiedener "Räuberbräute" bei etlichen Kapitalverbrechen und vier grässlichen Meuchelmorden konnte ich nicht ignorieren. Denn immer wieder kam es bandenintern zu den dramatischsten Verwirrungen der Gefühle. Die meisten Todesopfer hinterließ die Räuberbande in ihren eigenen Reihen - überwiegend infolge Eifersucht und falsch verstandener Koketterie. Der 200. Todestag wird auch von den Verantwortlichen im Fremdenverkehr genutzt, um mit der Symbolfigur für ihre jeweilige Region zu werben. Was halten Sie denn von den Versuchen, den Schinderhannes touristisch zu vermarkten? Anhäuser: Nach einem Jahrzehnte langen schamhaften Wegducken haben die heutigen Touristiker der Hunsrückregion endlich die Chance beim Schopf gepackt und den Räuber als werbewirksame Figur akzeptiert. Hinter Rinaldo Rinaldini, dem bayrischen Hiasl, hinter Robin Hood, Hölzerlips oder Hotzenplotz braucht sich "unser Hannes" nicht zu verstecken. Bekanntlich kommt die Moral "nach dem Fressen" - und wer durch Schinderhannes herbei gelockt wurde, soll vor Ort Gelegenheit erhalten, die "ganze erschröckliche Wahrheit" zu erfahren. Das Interview führte TV-Redakteurin Ilse Rosenschild.

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