unsere sprache

Als die "Pänz" aus meiner Verwandtschaft am vergangenen Samstag über den letzten "Quetschekooche" der Saison hergefallen waren, blieb für mich nur noch ein trauriges "Stéck" (Stück) übrig. Das brachte mich ins Grübeln - nein, nicht über den gesunden Appetit junger Menschen, sondern über unser moselfränkisches Wort "Stéck".

In dem unscheinbaren "Stéck" steckt nämlich viel drin - rein sprachlich gesehen. Zunächst einmal ist ein "Stéck" ein Teil von einem Ganzen - etwa ein Stück von meinem leckeren Kuchen. Bis hierhin scheint alles ganz einfach. Doch ein "Äppelstéck" kann nicht nur ein Teil eines Apfels sein, sondern auch eine Parzelle mit Apfelbäumen. Vieh wird in unserer Region in Stücken gezählt. So hat ein Bauer "fuffzisch Stéck Veeh" im Stall. Und ist etwas "e stark Stéck", dann ist es eine Zumutung oder ein Ereignis, über das man sich aufregt. Ein braves Kind kann dem Vater sein "bäst Stéck" sein. Wenn dieses beste Stück dann besonders ausgelassen ist und verrückte Dinge anstellt, dann entfährt es den Kopf schüttelnden Eltern schon mal: "Do bäss e Stéck Meewel!" (Du bist ein Stück Möbel). Bei Familienfeiern gibt mancher "Unkel" gerne "Stéckelscher" (Stückchen) von früher zum Besten, erzählt also Anekdoten aus der Vergangenheit. Zum guten Schluss ersetzt unser "Stéck" das hochdeutsche Wort für "ungefähr". Das kommt Ihnen merkwürdig vor? Dann fragen Sie sich doch einmal, wie man "ungefähr" oder "circa" auf Platt ausdrückt. Da fällt einem zuerst "im die" (um die) ein: "Dat Mädsche es im die zwöllef Jòar." Vermutlich kommt in Ihrer Mundart jedoch auch das Wort "stécker" "stéckerer" oder "sticker" zum Einsatz kommt. Kamen zur Generalversammlung des Musikvereins ungefähr 30 Mitglieder, waren "stéckerer treesisch Läit" da. Und kommt der Ehemann wieder einmal mit einem neuen Paar Schuhe nach Hause, dann kann man schon mal stöhnen: "Do hoss doch schu stéckerer zwansisch Pòar schwatze Schoo em Schrank!" Natürlich sind ungefähr zwanzig Paar schwarze Schuhe - genau genommen - auch "en Häad", also eine Herde Schuhe! Yvonne Treis Die Autorin ist in St. Aldegund an der Mosel geboren und mit Moselfränkisch als Muttersprache aufgewachsen. Die promovierte Sprachwissenschaftlerin arbeitet in Paris in einem Forschungsinstitut, das weltweit Sprachforschung betreibt. Das Fachgebiet von Yvonne Treis sind äthiopische Sprachen.

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