Religion Unter welchen Umständen soll Sterbehilfe möglich sein? 

Wittlich · Ehemaliger Vorsitzender der Evangelischen Kirche und Frau sprechen in St. Paul über Glauben und Grenzen der Selbstbestimmung.

 Nikolaus und Anne Schneider (Foto) diskutieren über Sterbehilfe.

Nikolaus und Anne Schneider (Foto) diskutieren über Sterbehilfe.

Foto: Christina Bents

Über 100 Besucher waren in die Autobahn- und Radwegekirche gekommen, um sich anzuhören, was Nikolaus Schneider, evangelischer Pfarrer und ehemaliger Ratsvorsitzender der EKD (evangelische Kirche in Deutschland) und seine Frau Anne Schneider, ehemalige Lehrerin für Mathematik und evangelische Religion, zu sagen haben. Der Konflikt zwischen selbstbestimmtem Leben und Tod und dem alleinigen Willen Gottes zum Bestimmen des Todeszeitpunkts eines Menschen war ihr Thema. Eine ihrer Töchter starb 2005 an Leukämie. In diesem Verlust konnten beide kein gutes Walten Gottes sehen und er hat Brüche in Anne Schneiders Gottesbild hervorgerufen. „In den biblischen Geschichten gibt es immer ein Happy End, aber der Glaube an Gott ist kein Garant für ein erfülltes Leben“, erklärt sie. Zudem ist sie der Meinung, dass Gott nicht über uns verfügt, sondern dass er uns die Freiheit geschenkt habe und er auch über unsere Erfahrung handle. Ihr Mann Nikolaus argumentiert: „Die Menschen möchten nicht gelebt oder gestorben werden, aber daraus kann ein ungebremster Drang entstehen. Gibt es die kompletten Autonomie- und Freiheitsansprüche überhaupt?“ Ihn erschreckt es nicht, dass er seinen Todeszeitpunkt nicht selbst bestimmt. Seine Frau möchte aber nicht wie eine willenlose Marionette an Maschinen gehängt werden, die ihr Leben verlängern. „Da wird man ans Leben geklammert.“ Beim Thema Beihilfe zum Suizid ist Nikolaus Schneider der Auffassung, dass es eine Grauzone gibt, wenn ein Arzt einem Menschen bei der selbstverantworteten Tötung hilft. Er befürchtet, dass es in der Praxis geläufig werden könne, sich zur Selbsttötung zu entschließen, wenn das ohne größere Hürden möglich sei. Klare gesellschaftliche Normen mit  Liebe und Barmherzigkeit sind für ihn deshalb unerlässlich. Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod und Gottvertrauen sind für ihn nachhaltige Kraftquellen, die vor verzweifelter Selbsttötung bewahren können.

Wolfgang Viertelhaus, Vorsitzender des Fördervereins fragte, wie die beiden die Problematik sehen, bei Selbsttötung im Alter, bei Einsamkeit oder wenn die Kosten für die Versorgung der älteren Menschen die Gesellschaft belasteten. Anne Schneider antwortete: „Der Missbrauch wäre gesetzlich schwer zu verhindern, aber jede Freiheit hat Gefahren.“ Nikolaus Schneider sagt: „Die staatliche Macht ist dazu da, die Würde des Menschen zu schützen.“ Weiter führt er aus: „Es sollte nur einen begleiten Suizid in Ausnahmefällen und in einem Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis geben. Eine zu große Öffnung könne zu einer Veränderung eines gesellschaftlichen Denkens führen. Dann könnte es heißen: „Du musst die Schmerzen nicht ertragen, du weißt ja, dass es Möglichkeiten gibt.“ Seiner Ehefrau geht es aber darum, dass es einen Rechtsanspruch auf chemische Stoffe gibt, die das Leben beenden, damit die Sterbewilligen nicht aus dem Fenster springen müssen oder sich vor einen Zug werfen. „Wo meine persönliche Grenze ist, soll nicht ein Arzt entscheiden, sondern ich selbst, denn der Tod ist eine Lebensfrage.“ Einer der Besucher berichtete aus eigener Erfahrung, was ihm ein naher Angehöriger mit auf den Weg gegeben hat: „Wer das Problem nicht hat, hat leicht entscheiden.“ Das bestätigen die Referenten und betonen, dass „vorwegempfinden“ nicht möglich sei. Einig ist sich das Paar auch darin, dass bei den Pflegeeinrichtungen genau hingesehen und Pflegeberufe mehr geschätzt werden müssen. Auch die Hospizbewegung müsse weiter unterstützt werden.

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