VERBANDSGEMEINDE GANZ NAH

LANDSCHEID. Baltika-Bier, Pelmeni und Auberginenpüree - in Landscheid verkauft Sophia Horn Spezialitäten aus dem Land, aus dem sie kommt: Russland. Heimweh kennt die Russlanddeutsche allerdings nicht.

Ein paar Aushänge mit kyrillischen Buchstaben an der Tür - sonst sieht der zweite Lebensmittelladen, den es seit Ende vergangenen Jahres in Landscheid gibt, von außen nicht anders aus als andere Geschäfte. Doch drinnen gibt es andere Sachen zu kaufen als anderswo. Freundlich und offen erklärt Sophia Horn all die fremdländischen Spezialitäten: die "berühmten" russischen Fleischtaschen, Pelmeni genannt, das Auberginenpüree, das sich als Brotaufstrich oder Beilage eignet und die vielen bunt verpackten Bonbons aus Litauen, die man einzeln kaufen kann. Es gibt russisches Baltika-Bier in Dosen, aber auch Frisches wie Fleisch, Fisch und Gemüse. "Hier kaufen viele Einheimische ein, aber auch Russlanddeutsche aus der Umgebung von Schweich bis Bitburg", erzählt Sophia Horn. Ihr Deutsch hat nur noch eine leicht russische Färbung, lässt dafür aber erste Landscheider Einflüsse erkennen. Oder sind das Reste von Altdeutsch? Wer mehr über Sophia Horn wissen will, ist mittendrin in der Geschichte. Ihre Vorfahren - Bauern aus Stuttgart - sind wie Zehntausende anderer Deutscher auf Einladung von Katharina der Großen nach Russland gegangen. 1763 hatte die deutschstämmige Zarin ausländische Kolonisten mit Privilegien wie Befreiung vom Militärdienst, Steuerfreiheit und Land zur Bewirtschaftung nach Russland gelockt. In Sophia Horns Familie heirateten nie Russen ein, und so hielt sich dort die deutsche, genauer die altdeutsche Sprache, in der Kartoffeln noch Grumbeere sind. Der im 19. Jahrhundert erwachende Nationalismus und später der Hass auf Hitler verschlechterten die Situation für Deutsche in Russland. Auch Jahrzehnte nach Hitler wurde die heute 42-jährige Sophia Horn schon mal als Faschistin beschimpft. Auch deshalb wollte sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern nach Deutschland auswandern. Nach mehreren abgelehnten Anträgen schaffte es die Familie 1989. Die Kinder waren noch klein, die Älteste gerade acht. Doch Deutschland war nicht das Land, das Sophia Horn erwartet hatte. Sie war überrascht von den vielen Ausländern in den Übergangswohnheimen und musste lernen, dass auch in Deutschland gestohlen wird. Sie hatte gehört, dass hier das Geld den ganzen Tag unter der Milchkanne liegen bleibt. Doch als Sophia Horn die ersten Einheimischen kennen lernte, damals in Bonn, fing sie an, sich mit dem Land anzufreunden. Ihr Mann fand bald einen Job auf dem Bau, sie arbeitete als Verkäuferin. Von Nordrhein-Westfalen nach Landscheid kam die Familie durch Zufall - und weil die Grundstücke für ein Haus hier billiger sind. In Landscheid erfüllte sich Sophia Horn dann den Traum vom eigenen Laden. Befreundet sind die Horns heute mit Deutschen wie Russlanddeutschen. Und trotz der großen Solidarität unter Russlanddeutschen kann Sophia Horn eins nicht verstehen: Drogen, Gewalttaten - wieso bauen einige wenige russlanddeutsche Jugendliche so viel Mist? "Das macht mich wütend. Dadurch bekommen wir ein ganz schlechtes Image", sagt die sonst sehr geduldige Frau. Eins hat sie mit diesen Jugendlichen gemeinsam: Auch sie will nicht nach Russland zurück; Heimweh kennt sie nicht. Doch Wesentliches unterscheidet sie auch von den schwierigen jungen Leuten: Sie lebt gerne in Deutschland.

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