Vieldeutig und spannend: Hemden sind Form und Hülle

Morbach · Arbeiten aus ihrer "Allerletzte-Hemden-Serie" stellt die Künstlerin Susanne Müller- Baji aus dem Raum Stuttgart vom 7. bis 9. November bei "Kunst im Gewächshaus" in Morbach aus. Mit dabei ist der Künstler Jonas Eberle.

Susanne Müller-Baji.Foto: privat

Susanne Müller-Baji.Foto: privat

Morbach. Sie ist auf mehreren Kontinenten unterwegs, aber im Schwäbischen zu Hause: die Künstlerin Susanne Müller-Baji. Gerade kommt sie aus den USA zurück, hat aber dort gemerkt, wie europäisch sie eigentlich ist. Mit der Schwäbin sprach TV-Mitarbeiterin Eva-Maria Reuther über ihre Arbeit.

Auf Ihrer Website habe ich einen Satz gefunden, der mir gefällt: "Ich gehe, wohin ich will." Was meinen Sie damit?
Susanne Müller-Baji: Die meisten Künstler haben das Bestreben, eine Galerie zu finden und zu verkaufen. Diese Zielsetzung habe ich nicht. Eher bemühe ich mich, Kunst als völkerverbindendes Element zu verstehen. Ich mache viele internationale Künstlerbegegnungen und arbeite sehr intensiv mit vielen internationalen Künstlern zusammen. In diesem Zusammenhang reise ich viel. All das dient nicht zuletzt dazu, Grenzen im Kopf einzureißen. Ich denke, dass ich mich im Kopf freier bewege als so manch anderer, der nicht über seinen Tellerrand hinaus schaut.

Wie kamen Sie zur Kunst?
Müller-Baji: Von Hause aus bin ich Graphik-Designerin. Bei diesem Studium werden einem zunächst die künstlerischen Techniken vermittelt. Den Rest erwirbt man sich dann natürlich, in dem man möglichst viel erlebt. Ich denke, dass Kunst das widerspiegelt, was man aus seinem eigenen Leben macht. Wichtig war mir neben der Bildenden Kunst allerdings auch immer die Sprache.

Tatsächlich ist Ihr Werk ein Crossover der Stile und Künste von Arte Povera über Objektkunst und Malerei bis hin zu Schriftbildern. Außerdem texten Sie. Welche Rolle spielt die Sprache, welche die Bildende Kunst in ihrer Arbeit?
Müller-Baji: Ich konnte das in meinem Leben nie trennen und etwa sagen, ich möchte mich jetzt nur mit Literatur beschäftigen oder nur mit Bildender Kunst. Das sind eben die beiden tragenden Säulen in meinem Leben. Wenn ich mich eine Zeit lang mit dem einen nicht beschäftigen kann, weil ich zu sehr mit dem anderen behaftet bin, dann fehlt mir auch etwas.

In Morbach stellen Sie "Allerletzte Hemden" aus. Wie kamen Sie zu dem Thema?
Müller-Baji: Das ist eine längere Geschichte. Ich habe vor Jahren bei einem internationalen Verleger gearbeitet. Als ich einmal eine Woche abwesend war, hatte ich, als ich zurückkam, einen ganzen Stapel Papiere auf meinem Schreibtisch: Manuskripte, Fotos, Bestellformulare, Gesprächsnotizen, eben alles, was zu so einem Beruf gehört.
Ich war erschlagen von der Masse, die zentimeterhoch über den ganzen Schreibtisch verteilt lag. Ich hatte das Gefühl, dass sich unser Leben darin abbildet. Plötzlich dachte ich, dass wir gar nicht leben, sondern nur so tun. Ich habe dann auch einen Schlussstrich unter diese Tätigkeit gezogen. Vorher habe ich allerdings noch Kopien dieser Papiere gemacht und mir damit eine Art Sammlung angelegt. Quasi als Versuchsanordnung, was sich in einer Woche auf meinem Schreibtisch angesammelt hat. Den Anstoß, das Papier zu Hemden zu verarbeiten, hat dann der 11. September 2001 gegeben. Ich hatte die Bilder noch vor Augen, wie diese enorme Druckwelle die Papiere aus dem Inneren der Türme durch die Fenster auf die Straßen von Manhattan getragen hat, während die Leute da drinnen zu Staub wurden. Das war so ein gigantisches Bild, dass es sich regelrecht bei mir eingebrannt hat.
Diese Papiere, von denen wir glauben, dass sie für uns so furchtbar wichtig sind, überleben uns auch noch. Die Papiere bleiben, die Leute sind weg. Damals habe ich das erste Hemd aus diesen Beispielpapieren genäht.

Warum gerade ein Hemd?
Müller-Baji: Das Hemd ist für mich zum einen interessant, weil es eine Torso-Form hat. Andererseits ist es aber auch nur eine Hülle. Es ist ein Platzhalter für etwas anderes. Das macht es vieldeutig und spannend. Dadurch ergibt sich für mich als Künstlerin auch eine spielerische Ebene.

In Morbach stellen Sie bei "Kunst im Gewächshaus" in einem Gewächshaus aus. Wie weit gehen Sie bei Ihren Ausstellungen auf den Ort ein?
Müller-Baji: In Morbach ist besonders spannend, dass in dem Gewächshaus eine Kirchenbank steht. Da ich gern in der Altarform arbeite, wird es passend zur Bank auch einen Altar geben. So eine Chance darf man nicht ungenutzt lassen. Ansonsten sind die Hemden leicht auszustellen. Sie hängen auf Kleiderbügeln frei im Raum. Die Leute können um sie herumlaufen und sie angucken. Ideal wäre noch ein leichter Luftzug, damit sie sich bewegen.

Sie gehen, wohin Sie wollen. Gerade waren Sie in Amerika. Was haben Sie von dort mitgebracht, und was erwarten Sie vom Hunsrück?
Müller-Baji: In Amerika habe ich gemerkt, wie europäisch ich eigentlich bin. Die Fahrt auf den Hunsrück erdet mich, außerdem verbindet mich mit ihm eine private Freundschaft. er
Extra

Susanne Müller-Baji wurde 1970 geboren. An der renommierten Johannes-Gutenberg-Schule in Bad Cannstatt studierte sie Graphik Design. Anschließend war sie in Budapest als Art/Creative Director für amerikanische Firmen tätig. Seit 1995 arbeitet sie wieder in Deutschland als Künstlerin, Autorin und Journalistin. Sie stellt international aus und war 2011 und 2014 Artist in Residence in Südkorea. erExtra

Die Ausstellung "Kunst im Gewächshaus" wird am Freitag, 7. November, 19 Uhr, in der Gärtnerei Berg in Morbach eröffnet. Zudem stellt der Wittlicher Jonas Eberle aus. Anschließend findet um 20.30 Uhr ein Poetry-Slam statt. Die Ausstellung ist Samstag ab 18.30 Uhr, Sonntag ab 11 Uhr geöffnet. red

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