Vom Aktzeichnen zur Abstraktion

WITTLICH/BERLIN. Wer seit der Säubrennerkirmes ein Jahr lang die Stadtschlüssel am Revers trägt, muss ein Wittlicher sein. Das ist Sonja Friderichs. Allerdings lebt sie in Berlin, wo sie visuelle Kommunikation studiert hat und die abstrakte Kunst entdeckte. Sie konstruiert Bilder mit Hilfe ihres Computers.

In der künstlichen Computerwelt ist vieles möglich. Dass man am Bildschirm zeichnen und malen kann, wissen schon Kinder. Die Technik konsequent schöpferisch ausreizen, sie zum Diener der Idee machen, das ist Sonja Friderichs gestalterischer Weg. Effekte, Farbe, Formen: Was am Rechner entsteht hat per se eine eigene Ästhetik, auch wenn Menschenhand die sozusagen die Geister ruft, sie ordnet, sie mit Hilfe der Bildbearbeitungsprogramme in die Fläche bannt, so wie im Falle der Wahlberlinerin. Sie schafft zunächst eine Art Bild-Basis als unterste Ebene, baut darüber weitere Form- und Farbschichten, die sich wiederum aus den darunter liegenden Ebene bedingen, denn Sonja Friderichs macht in ihrem Werkprozess alle Ebenen durchsichtig, verwandelt sie am Bildschirm praktisch in übereinander geschobene Glasbilder, die sie als vertikales Farb- und Form-Puzzel miteinander verschweißt. So wird jedes Bild zu einem geschlossenen System, vielleicht vergleichbar mit einer Perle, die ihr Perlmutt um ein Körnchen kleidet, um später tief zu glänzen. Nur dass Sonja Friderichs Arbeiten nicht auf schlichtes, monochromes Leuchten in die Tiefe setzen, sondern ihr "Perlmutt" ist ein buntes, von Strukturen bereits in sich gegliedertes Material. Man kann sich vorstellen, dass bei dieser Technik die Farbflächen später vielfältig scheinen. Doch bei aller oberflächlichen Verschiedenheit der Arbeiten bleiben dieselben einem homogenen System verwandt, das die Bilder eint. Sonja Friderichs blättert in ihrer dicken Mappe. Da schwimmen die Farben wie noch nass lackiert ineinander, da wiederholen und variieren sich aberwitzig kleinteilige Muster, da vibrieren Farbe und Linien wie auf kippenden Achatscheiben. Zwischen abstrakter Komposition und durchdesignter Struktur changieren ihre Arbeiten. Sie alle zeugen von der Liebe zum disziplinierten Experiment zur Leidenschaft für die Facetten der Farbe und einem Spieltrieb als existenzieller Antrieb zu Gestalten. "Francis Picabia sagte einmal: Der Kopf ist rund damit die Gedanken ihre Richtung ändern können. Dies hing als Schülerin mit 16 oder 17 über meinem Schreibtisch", sagt Sonja Friderichs, die selbst beim jahrelangen Zeichnen dem Papier hörig war, bis sie vom Aktzeichnen zur Abstraktion kam, für sie nur eine kleine Drehung der Geisteshaltung. Ihre aufmerksamen Augen wandern konzentriert in die Ferne eines den Gedanken nachsinnenden Blicks: "Ich habe mich zwar selbst überrascht, dass ich dabei lande. Aber Metamorphose, Verwandlung ist ja ein Prinzip der Kunst und rein technisch ist die Metamorphose auch die Grundlage dieser Arbeiten." Und sie sagt: "Interessant wird es, wenn man mit den Gedanken umgehen kann wie mit Kaugummi, indem man sie dehnt, verkleinert oder dreht. Das gleiche gilt für die Wahrnehmung und ihre Reflexion." Um ihre Ideen aber künstlerisch umzusetzen, hat der Computer der jahrelang im Zeichnen geübten Hand dann doch Grenzen gesetzt: "Man kann mit der Maus nicht gegenständlich zeichnen und hat eine gewisse Ungenauigkeit. Die Hand kann so viele Dinge, die der Computer nicht umsetzen kann." In Berlin kennt man ihre Bilder übrigens unter ihrem Künstlernamen: "Sonny Frith". Bleibt die Frage, was sie aus ihrer Heimat in ihrem persönlichen "Speicher" aufbewahrt: "Wenn ich etwas gelernt habe von Wittlich und seiner schönen Umgebung ist es die Wahrnehmung natürlicher Farbtöne in der Natur. Besonders dadurch, dass mein Vater Winzer war. Für den Beruf als Bildbearbeiterin ist diese Fähigkeit unentbehrlich, da Natürlichkeit, Authentizität und Qualität für mich eine große Rolle spielen. Die Plastiken von dem Bildhauer Scherl, denen man immer wieder begegnen kann, haben mich in diesem Sinne oft beeindruckt."

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