Von der Abstimmung mit den Rädern

Wittlich · Hält eine Vision von weniger Autos mitten in der Stadt der Wirklichkeit stand? Diese Frage wollte die Stadt unter anderem mit einem umstrittenen Verkehrsversuch klären. Aus ihrer Sicht ist das gelungen. Das erfuhren rund 70 Besucher der Einwohnerversammlung. Unklar bleibt, welche Folgen das haben wird.

 Im Dialog mit den Bürgern: Jan Mußweiler, Joachim Rodenkirch und Ulrich Jacoby (von links) bei der Präsentation der Ergebnisse. TV-Foto: Klaus Kimmling

Im Dialog mit den Bürgern: Jan Mußweiler, Joachim Rodenkirch und Ulrich Jacoby (von links) bei der Präsentation der Ergebnisse. TV-Foto: Klaus Kimmling

Wittlich. Bürger sind schwieriger zu testen als Versuchskaninchen. Will man menschliches Verhalten unter veränderten Bedingungen studieren, kann das zu Überraschungseffekten führen. Besonders wenn der Bürger sich über den Sinn und die Folgen einer Versuchsanordnung Gedanken macht und sie nicht wirklich versteht. So ungefähr muss es vor einem Jahr gewesen sein, als die Stadt einen Teil der Hauptverkehrsader Kürfürstenstraße sperren ließ. Schon die Ankündigung sorgte für eine gewisse Skepsis. Der Testverlauf sorgte für Aufsehen: Sperrungen wurden ignoriert, die Not-Ausfallstrecke über den Schotterparkplatz wurde zur Staubschleuder, die Situation für Fußgänger gefährlich: Der Test musste abgebrochen werden. In der Einwohnerversammlung resümierte Albrecht Gebauer, Sprecher der Anwohner, die den Versuch kritisch begleitet hatten: "Es ist nicht wesentlich anders gekommen, als wir das vermutet haben."
Trotz der Widrigkeiten: Aus Sicht der Verwaltung haben sich die Bürger als Versuchskaninchen bewährt. "Die Antworten, die wir wollten, haben wir bekommen", sagte Lothar Schaefer, Stadtverwaltung, zur Präsentation der gemessenen Verkehrsströme vor und während des Versuchs (der TV berichtete). Er sagte auch: "Da gehört Mut dazu. Ich würde es sofort wieder tun. Mir ist es lieber, man hat es versucht, als 800 000 Euro zu verbauen und hinterher zu merken, es war nicht so doll." Außerdem sei er um eine Erkenntnis reicher: "Der Autofahrer lässt sich seine gewohnten Wege nicht nehmen, er stimmt mit den Rädern ab."
Dennoch, jetzt sei klar: 4000 bis 5000 Fahrzeuge können aus dem Abschnitt der Kurfürstenstraße zwischen Schlossgalerie und Fürstenhof weggeleitet werden. Zudem habe diese Zählung von Verkehrsströmen Prognosen bestätigt. Die tatsächlichen Zahlen liegen sogar etwas höher, als bislang gedacht. Weitere Ergebnisse: Es gab keinen Verkehrskollaps, für einen neuen Kreisverkehr an der Südtangente/Gerberstraße ist das Verkehrsaufkommen zu groß. Und was ist mit den Plänen, im testweise gesperrten Bereich städtebaulich etwas zu verändern, dort einen verkehrsberuhigten Bereich zu schaffen? Das fragten Wittlicher. Bürgermeister Joachim Rodenkirch sagte: "Wir werden ad hoc mit Sicherheit nicht an dieser Spange herumdoktern." Das sah SPD-Stadtratsmitglied Joachim Gerke etwas anders: "Noch bin ich Entscheidungsträger. 100 Pro werden wir dort etwas verändern. Da bin ich mir ganz sicher!" Was genau das heißt, blieb ungeklärt.Meinung

Es war einmal ein Missverständnis
"Ich gestehe zu, es ist mir nicht gelungen, in der Diskussion klarzumachen, warum wir das machen. Das geht auf meine Kappe", sagte Bürgermeister Joachim Rodenkirch vor der Präsentation dessen, was als Ergebnis des umstrittenen Verkehrstests gilt. "Wir konnten die Ziele nicht vermitteln", sagte auch der bei der Stadt Verantwortliche Lothar Schaefer. Da fragt man sich angesichts der vielen Pressemitteilungen, Gesprächsangebote und Infos für die Bürger, ob das als Erklärung für den Wirbel um den Test ausreicht. War alles nur ein unglückliches Missverständnis? Sich künftig besser zu verstehen, daran kann konkret gearbeitet werden: Wenn die Vorschläge kommen, wie dauerhaft aus der Kurfürstenstraße Verkehr abgezogen werden kann. Das Thema bleibt aktuell. s.suennen@volksfreund.deExtra

Bürgermeister Joachim Rodenkirch: "Wittlich kann\\'s! Früher hat man gesagt: Wittlich hat\\'s. Wittlich ist eine hochinteressante Gesamtkomposition." Lothar Schaefer, Stadtverwaltung: "Mit Tempo 60 und Powerslide über den Schotterplatz, wo Tempo 10 war. Das war beeindruckend und hat gezeigt: ,Nä, wir wollen datt da net.\\'" Jürgen Vellen, CDU-Stadtrat: "Ich gehöre zu denen, die für den Versuch gestimmt haben. Ich glaube, Akzeptanz wäre das Richtige gewesen, statt ihn bewusst zu boykottieren." Albrecht Gebauer, Interessengemeinschaft Verkehrsberuhigtes Wohngebiet Sehlemet: "Niemand hat jemand unterstellt, leichtfertige Entscheidungen im Stadtrat getroffen zu haben. Dass wir die Entscheidung kritisch begleitet haben, ist richtig. Das ist demokratisch." Hans-Günter Heinz, Ehrenbürger der Stadt: "In der ersten Bürgerversammlung wurden Bedenken geäußert und die haben sich heute realisiert. Der Einspruch der Bürger war in Ordnung." Michael Groth, Stadtmarketing Wittlich: "Der Verkehrsversuch ist eindeutig zulasten der Innenstadt gegangen. Wir sind überhaupt nicht daran interessiert, Verkehr um die Stadt herumzuleiten. Dann können wir auch den Schlüssel nehmen und abschließen." Bürgermeister Joachim Rodenkirch: "Der Verkehrsversuch wurde reduziert darauf, dass wir alle bekloppt sind."

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