Was Wittlichs Goldenes Buch erzählt

Wittlich · Es wird immer dann hervorgeholt, wenn hoher Besuch nach Wittlich kommt. Naja, zumindest fast immer. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich nicht im Goldenen Buch der Stadt verewigt, obwohl sie 2011 in Wittlich war. Dafür aber stehen Hans-Dietrich Genscher, Kardinal Lehmann oder auch Kurt Beck in dem 2467 Gramm schweren Wälzer, in den der TV einen Blick geworfen hat.

Wittlich. Eins vorneweg: Der Aufbau des Goldenen Buches der Stadt Wittlich erschließt sich weder auf den ersten, noch auf den zweiten und auch nicht auf den dritten Blick. Nach einer 14 Seiten langen Einleitung zur Stadtchronik folgen Eintragungen von Ehrengästen ab 1999, danach sind zwölf Seiten leer, anschließend geht es weiter mit Gästen, die von 1973 bis 1987 Wittlich besuchten. Eine eigenwillige Reihenfolge, die auch Stadtpressesprecher Jan Mußweiler ratlos sein lässt: "Leider habe ich hierzu keine Erklärung."
Es ist nur eines von vielen Rätseln, die sich auftun, beschäftigt man sich mit dem Goldenen Buch der Stadt. Warum beispielsweise ist auf der ersten Seite nicht das Originalwappen der Stadt dargestellt, sondern eine Abwandlung? Statt des runden roten Schilds ist das abgebildete unten eckig, auch erstreckt sich der sogenannte Helm des Wappens nicht über die gesamte Breite wie beim Original. "Künstlerische Freiheit", sagt Mußweiler mit einem Augenzwinkern.
Und warum gibt es nach der Stadtchronik einen Eintrag auf der linken Seite, wo doch die linken Seiten ansonsten im Buch frei gehalten sind? Und überhaupt, warum hat sich hier unter anderem die Weinkönigin Mosel-Saar-Ruwer von 1985/1986 gemeinsam mit dem Präsidenten der Bundesbahndirektion Saarbrücken und einem Wittlicher Künstler verewigt, der zudem noch einen Totenkopf hinkritzelte? Eine spontane Handlung im Rahmen einer festlichen Weinprobe anlässlich der Säubrennerkirmes, vermutet Mußweiler. Apropos Säubrennerkirmes: Ebenfalls ein Rätsel ist, warum jemand auf einer Seite "Für die Ehrengäste der Säubrennerkirmes" notiert, aber dann niemand unterzeichnet hat.
Es scheint, dass es ab und zu an der Eintragungsdisziplin fehlt. Vielleicht aber wurde dem Goldenen Buch in manchen Jahren in der Vergangenheit auch nicht immer die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. So finden sich in dem exakt 2467 Gramm schweren Wälzer seit 2006 fast nur die Einträge der Preisträger des Georg-Meistermann-Preises: Christina Rau für ihren Mann Johannes, Charlotte Knobloch, Kardinal Lehmann und Hans-Dietrich Genscher. Einzige Ausnahme: der damalige Ministerpräsident Kurt Beck, der im November 2011 anlässlich der Landesfeier zum Volkstrauertag Wittlich besuchte. Dabei war einige Monate zuvor, im Februar 2011, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Kreisstadt zu Gast. Im Goldenen Buch der Stadt allerdings findet man Merkel nicht. Die Kanzlerin sei bei einem Wahlkampftermin in Wittlich gewesen, sie habe nicht die Stadt selbst besucht, erklärt Mußweiler.
Wenn also auch nicht alle berühmten Persönlichkeiten, die in den vergangenen Jahrzehnten in Wittlich waren, in dem Werk zu finden sind - ein Dokument der Zeitgeschichte bleibt es allemal: So hat sich etwa der letzte französische Kommandeur in der Stadt, Jean-Louis Bruder, am 2. Juni 1999 verewigt. 54 Jahre waren die französischen Streitkräfte in Wittlich stationiert gewesen. Bruder verabschiedet sich mit einem "Merci" bei den Wittlichern für ihren außergewöhnlich sympathischen Empfang. Es geht sogar noch herzlicher zu im Goldenen Buch: Im Juni 1987 schrieb Georg Meistermann eine Liebeserklärung hinein. "Ich liebe diese Stadt, sie ist traditionsbewusst."
Hat Ihre Gemeinde auch ein "Goldenes Buch" für Ehrengäste? Dann melden Sie sich bei uns,
E-Mail: mosel@volksfreund.de
Extra

Ein Goldenes Buch ist ein in Gemeinden und Städten verwendetes Buch, in das wichtige Gäste ihren Namen schreiben. Das können beispielsweise Politiker, erfolgreiche Sportler, aber auch Musiker oder Künstler sein. Diese Bücher sind nicht immer golden, denn das wäre ziemlich teuer, aber oft haben sie ein besonderes Papier und auch tolle Verzierungen. So werden auch die Seiten oft in einer besonderen Schrift, der Kalligrafieschrift, gestaltet. Die ist sehr aufwendig, sieht aber ganz toll aus. In dieser Kalligrafieschrift steht, wer der Gast ist und warum er die Stadt besucht. Darunter unterschreibt der berühmte Besucher und fügt vielleicht auch noch ein paar Sätze hinzu. Das ist aber manchmal eine ganz schöne Krakelei - und so ist es gut, dass zuvor in der kunstvollen Schrift steht, wer da unterschrieben hat. In Wittlich entscheidet übrigens der Bürgermeister, wer sich ins Goldene Buch eintragen darf. Und er passt auch auf das besondere Werk auf: Es wird in seinem Büro aufbewahrt. neb

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