Weg durch die Hölle ist allgegenwärtig

Zum 70. Jahrestag der Pogromnacht sind viele Bürger in die Zeller Synagoge gekommen. Sie lauschen ergriffen und fasziniert den Schilderungen von Martin Schmitz aus Traben-Trarbach, 1921 als Jude geboren und ab 1938 durch die Hölle gegangen.

Zell. "Ich heiße Martin Schmitz. Ich bin Zeitzeuge. Ich wurde am 30. Dezember 1921 in Traben-Trabach als Jude geboren." Diese Sätze gehören zu den ersten, mit denen ein hoch gewachsener, asketisch und rüstiger Mann am Sonntagabend - dem 70. Jahrestag der Reichspogromnacht - in der Zeller Synagoge den Vortrag über sein Leben beginnt. Der fast 87-Jährige spricht frei und flüssig vor einem atemlos zuhörenden Publikum, das den kleinen Raum füllt. Einige sitzen sogar auf den Stufen der Treppe zur Empore.

Der Weg durch die Hölle, der während seines 25. Lebensjahres endet, ist Martin Schmitz noch in allen Einzelheiten präsent; auch die Ereignisse aus der Zeit vor 1933 - als er eine glückliche Kindheit an der Mosel verbringt.

Der Mann wurde von den Nazis missachtet, gefoltert und geschlagen, gedemütigt und erniedrigt - und blieb doch immer seiner Heimat verbunden. Als ihn die englischen Truppen am 15. April 1945 in Bergen-Belsen - mehr tot als lebendig und bis auf 30 Kilo abgemagert - "unter Toten hervorzogen", bestand er darauf, nach seiner Genesung in seine Heimat entlassen zu werden.

Hier aber findet er von der ehemals großen Familie niemanden mehr. Seine Eltern sieht er das letzte Mal in seinem Leben auf dem Bahnsteig vor dem berüchtigten Tor in Auschwitz mit der zynischen Torinschrift: "Arbeit macht frei". "Ich habe meine Eltern nicht mehr gesehen seit der Trennung auf dem Bahnsteig. Das ist das Schlimmste. Darüber komme ich heute noch nicht hinweg", schildert Schmitz seine Empfindungen, ohne äußerlich Gefühle zu zeigen.

Sachlich, ideologiefrei, der Wahrheit verpflichtet in allen Einzelheiten, spricht Schmitz weiter von den Grausamkeiten, die ihn nach der Ankunft in Auschwitz erwarten: von den Entbehrungen, den vielen Schlägen, den Menschen, die er sterben sah, weil sie die Torturen nicht aushielten. Bedrückend mutet es an, als Martin Schmitz seinen Ärmel hochstreift und die eingebrannte Nummer zeigt, die vom ersten Tag an in Auschwitz seinen Namen ersetzte: Sie ist sechsstellig: 517 141.

Kein einziges Mal hat Schmitz Anklage erhoben gegen "die Deutschen". Im Gegenteil: Er erzählt von dem Ehemann einer Verkäuferin, ein SS-Mann, der ihn und seinen Vater nach der Pogromnacht am 10. November 1938 durch Köln bis nach Hause geleitete. In seinem Schutz konnten sie sich sicher fühlen. Er entschuldigt den Mann sogar: Er habe gesagt, er wolle nicht arbeitslos sein und sei deswegen in die SS eingetreten.

Von den Lehrern beschimpft



Es gibt auch keine Klage über Lehrer, die den Volksschüler in Traben-Trabach drangsalierten und auch nicht über die Lehrer nach 1933, die ihn ständig schlugen, mit übelsten Wörtern beschimpften und dann während der Schulstunden in die Ecke stellten. Seine Noten wurden schlechter und schließlich durfte er gar nicht mehr auf das Gymnasium in Wittlich gehen, wo vor 1933 "alles bestens lief". "Ich habe gelebt wie Sie in Ihrem Dorf", sagt er. Diese Haltung macht Martin Schmitz glaubwürdig.

Trotz der Fronarbeiten, die ihm im KZ abverlangt wurden, sagt er: "Wir kamen ganz gut zurecht." Das macht ihn so überzeugend. Weil auch andere das bemerkt haben, ließen Verantwortliche für die Gedenkstätte Bergen-Belsen - dort hat er in den letzten Kriegswochen "die Hölle erlebt" - Schmitz eine Kassette besprechen über sein Leben: Sie dauert neun Stunden und wird in der Gedenkstätte aufbewahrt.

Im Juli 1945 zurück an der Mosel findet er in Traben-Trabach sein Glück. Schon am 12. Dezember 1945 heiratet er eine Deutsche. Das Paar bekommt drei Kinder, die alle die akademische Laufbahn eingeschlagen haben. Martin Schmitz darf eine Ausbildung zum Verwaltungsfachmann machen und hat bis zu seiner Pensionierung in Bernkastel-Kues gearbeitet.

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