Wenn ein Sechsender in der Küche steht

Sie kommen in Rotten, meist nach Anbruch der Dunkelheit: Wildschweine verwüsten in jüngster Zeit verstärkt Privatgärten in Dörfern und an Stadträndern, Äcker und Weinberge. Was sich hingegen im Jahr 1898 in Hontheim ereignet hat, kling dagegen kurios: Ein ausgewachsener Hirsch zertrümmerte das Küchengeschirr einer Hausfrau. Und in Erlenbach bei Hetzerath stahlen Füchse Hühner aus den Gehöften.

 Dieser Damhirsch hat sich in Lünebach bis in einen Garten vorgewagt; im Jahr 1898 drang ein Sechsender sogar bis in eine Küche in Hontheim vor. Foto: privat

Dieser Damhirsch hat sich in Lünebach bis in einen Garten vorgewagt; im Jahr 1898 drang ein Sechsender sogar bis in eine Küche in Hontheim vor. Foto: privat

Hontheim/Hetzerath-Erlenbach. Es muss ein Schock gewesen sein für die Menschen vor 112 Jahren. Denn im Sommer des Jahres 1898 drangen in Hetzerath und in Hontheim Rehe, Füchse und Hirsche bis in die Vorgärten ein. Sogar bis in die Häuser kamen sie und zertrümmerten Küchengeschirr, wie mehreren Berichten der Zeitung "Wittlicher Kreisblatt" zu entnehmen ist.

Am 1. Juni 1898 schreibt die Zeitung, dass in Erlenbach bei Hetzerath Rehe in den Fluren viel Schaden anrichten. "Die Thiere scheuen sich sogar nicht mehr, im Orte Besuche abzustatten und, wie dieses noch heute Mittag zu beobachten war, bis an den Bahnhof Hetzerath grasend vorzudringen." Das war mehr als einen Kilometer über Äcker und Wiesen aus dem Wald heraus.

Noch dreister waren einige Füchse in Erlenbach. "Diese haben ihre List bereits so weit gebracht, dass sie am hellen Tage Hühner aus den Hausgehöften wegstehlen, ohne dabei ertappt zu werden." Dass es Füchse auf Federvieh abgesehen haben, ist keine Seltenheit, wie das Kinderlied "Fuchs du hast die Gans gestohlen" zeigt. Dass aber ein ausgewachsener Hirsch in die Küche eines Wohnhauses eindringt, ist eher ungewöhnlich. Passiert ist dies in Hontheim: Ein stattlicher Sechsender besuchte am 26. Mai 1898 den Ort, "sprang in kühnem Bogen über die Zäune in die Gärten und kam schließlich auf den drolligen Einfall, Küchenrevision zu halten. Eine Hausfrau mochte den dreisten gehörnten Eindringling für den Leibhaftigen angesehen haben, denn sie stürzte kreideweiß und kaum mehr der Zunge mächtig ... in die rettende Stube."

Aber auch in ihrem Zufluchtsort musste die Geängstigte bangen und "die Vergänglichkeit des Irdenen im geräuschvollen Untergang ihrer geliebten Thon- und Porzellanschätze schauen, bis der Bock genug des grausamen Spiels hatte und von einigen Hunden begleitet das Weite suchte". Als der Hirsch dann im Wald angelangt war, hatte die überraschte Frau ihren Wortschatz wiedergefunden.

Das Wittlicher Kreisblatt schreibt, dass die Frau ihrer Zunge kaum mächtig war und ergänzt - aus heutiger Sicht klingt das abschätzig - "die ja sonst beim weiblichen Geschlecht ihren Dienst nicht versagt".

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