Michel ist ein prächtiger Lausbub. Viele Flausen hat er im Kopf, die vor allem seinen Vater zur Verzweiflung bringen. Zur Strafe landet er oft im Schuppen, wo er dann Figuren schnitzt. Weit über hundert hat er schon fertig, denn dem Michel fällt immer etwas ein. Dabei hat er ein gutes Herz. Michel ist eine Erfindung von Astrid Lindgren, und er hat mich immer schon fasziniert, ganz ähnlich wie Ronja Räubertochter oder Kalle Blomquist oder natürlich Pippilotta Victualia Rollgardina Ephraimstochter Langstrumpf. Wie oft hab ich hinter jedem altverschnörkelten Haus die Villa Kunterbunt gesehen, oder wenn ich einen Schimmel sehe, dann denk ich an den kleinen Onkel. Oder an Konrads Spezialkleber, mit dem man an der Decke laufen kann oder sogar Schrottautos zum Fliegen bringt. Eine tolle Welt hab ich mit ihnen erlebt, als ich noch ein Kind war. Und wenn ich an diese Geschichten denke, dann spüre ich: Diese Astrid Lindgren, die heute 101 Jahre alt wäre, die ist wohl im Kern ein Kind geblieben. Nicht etwa kindisch, nicht etwa naiv oder unwissend, sondern wirklich Kind, und das heißt: Offen, verletzlich, phantasievoll, unverbraucht, für die Zukunft offen, nicht festgefahren, mutig, lernfähig, ohne Schubladendenken, den Tag pflückend. Und dann wünsche ich mir, ich wäre auch so, könnte all das Belastende mit der Kraft von Pippi Langstrumpf wegschleudern und innerlich frei durch die Gegend hüpfen. Gelassen, offen, hoffnungsfroh. Vielleicht ist es ja auch das, wenn Jesus zu den Leuten sagt: Wenn ihr nicht wie die Kinder werdet, dann könnt ihr Gottes neue Welt nicht erreichen! Das ist eine Aufgabe, wieder ein wenig so zu werden: Offen, verletzlich, nicht festgefahren, den Tag pflückend, so wie Pippi, Kalle, Ronja oder Michel, voll Vertrauen auf den, der uns ins Leben stellt und uns wie ein Kind auffängt.

Ulrich Müller ist evangelischer Pfarrer in Irmenach-Lötzbeuren-Raversbeuren