Wilder Wein - etwas rau und manchmal orange

Berlin · Eine neue Farbe sorgt in der Weinszene für Gesprächsstoff. Nach Rot, Weiß und Rosé nun auch Orange. Weiße Trauben werden wie Rotwein auf der Maische vergoren, der Wein erhält dadurch orange bis ins Bernstein gehende Farben. Vor allem in angesagten Szene-Kneipen ist die Nachfrage nach Orangeweinen und "natural wines" groß. Diese kommen zumeist ohne Schwefelzusatz aus.

Berlin. Das soll Wein sein? Die Flüssigkeit in dem feingeschliffenen, sich nach oben verjüngenden Weinkelch erinnert optisch eher an abgestandenes Bier: bräunlich-gelb, leicht trübe. "Das ist einer", sagt Maxime Boillat, "das ist ein Orangewein." Weißwein, Rotwein, Roséwein - und jetzt also noch Orangewein. Müssen die Millionen von Weinkarten auf aller Welt um eine weitere Kategorie ergänzt werden? Vielleicht, wenn sich ein Trend, der jetzt in Berlin angekommen ist, durchsetzt.
Maxime Boillat ist ein Trendsetter in der Berliner Weinszene. Er bietet Orangeweine an. Manche sagen auch natural wines oder vins naturels (siehe Artikel unten).
"Orangeweine sind nie fertig, sie entwickeln sich, Orangeweine werden nicht gemacht, sie dürfen werden", sagt der 42-Jährige. Ihr Geschmack? Leicht hefig, keine feinen Aromen, wie Pfirsich oder Mango, eher rau und intensiv, weniger Obst, mehr Kräuter.
Mit den Beerenschalen vergoren


Der Wein, den Boillat ausschenkt, ist in Tschechien gewachsen. In Mähren hat sich der junge Winzer Milan Nestarec ein kleines Weingut aufgebaut. Traminer ist seine Hauptrebsorte, und auch sein Orangewein ist ein Traminer. Boillat ist stets auf der Suche nach solchen Weinmachern, experimentierfreudige Handwerker, die sich von der Masse abheben wollen.
Orangeweine, Boillat spricht lieber von Naturweinen, werden mit den Schalen vergoren, der Wein bleibt lange auf der Hefe liegen, er wird nicht filtriert und nicht mit Trub bindenden Eiweißen "geschönt".
Vor allem aber: Er bekommt keinen oder nur sehr wenig Schwefel. Schwefel ist der unentbehrlichste Zusatzstoff im Wein. Schon die Römer schwefelten ihre Weine. Schwefel konserviert, und Schwefel macht die bei der Gärung oft entstehenden unangenehm schmeckenden Stoffe unschädlich.
Schwefel hält den Wein frisch und sorgt dafür, dass er nicht braun wird - oder orangefarben. Braun wie beispielsweise ein angeschnittener Apfel, wenn er mit Luft in Berührung kommt.
Maxime Boillat stellt einen anderen Wein auf den Tisch. Der gelernte Weinsommelier entkorkt mit einem Kellnermesser geschickt und routiniert die Flasche. Diesmal ist der Wein glasklar und rein.
Ein Rheingauer Riesling vom Weingut Peter Jakob Kühn. Frisch, spritzig, leicht säurebetont - ein klassischer Riesling.
Kein Orangewein. Aber ein Wein, der mit der Hälfte an Schwefel auskommt. "Wir haben natürlich auch konventionelle Weine auf der Karte, aber sie sollten so weit wie möglich naturbelassen sein", sagt Boillat.
360 Weinlokale in Berlin


Rau, wild unberechenbar - diese Charakterisierung für den Großteil seiner Weine gefällt Maxime Boillat. Es ist daher sicher kein Zufall, dass in dem rustikal-spartanisch eingerichteten Weinlokal in der Gormannstraße unweit vom Alexanderplatz nur ein einziges großes Gemälde hängt und alle Blicke auf sich zieht.
Es zeigt ein Rudel Wölfe am Meeresstrand in unruhiger Bewegung, in der Mitte offenbar der Leitwolf, der den Kopf steil nach oben reckt und in die sternenklare Vollmondnacht heult.
Im Januar 2014 hat der gebürtige Schweizer das "Maxim - bar à vins" eröffnet. Er hat zunächst in Zürich Archäologie studiert, kam dann nach Berlin, war DJ in einem Technoclub, betrieb eine Kneipe und machte eine Ausbildung zum Sommelier.
Auch er entwickelt sich, ist nie fertig, will ausprobieren. Ob es das Lokal in fünf Jahren noch gibt? "Ich weiß es nicht", sagt er, "noch läuft es gut." Es gibt einen Berliner Weinführer. Vor 15 Jahren waren dort 165 Weinlokale aufgeführt. Davon haben bis heute 60 überlebt. Sehr viele sind seitdem dazugekommen, viele haben aufgemacht, viele sind nach kurzer Zeit gescheitert. Derzeit zählt der Weinführer 360 Läden.
Das Maxim hatte von Beginn an eine gute Presse. Orangeweine und natural wines, also "naturbelassene Weine" - das war neu in der experimentierfreudigen Berliner Weinszene. Der Trend ist von London und Paris nach Berlin geschwappt. In Frankreich, Italien und Österreich sind schon etliche Winzer auf den Zug aufgesprungen, in Deutschland tut man sich noch schwer damit.
Gegen Abend füllt sich das Maxim. Meist kommen Leute zwischen 30 und 50 Jahren. Unter ihnen ist Sophie Hunger, die ein paar Straßen weiter wohnt. Die 32-jährige Schweizer Sängerin und Filmkomponistin ist mit zwei Freunden gekommen, ein Regisseur und ein Drehbuchautor.
Einfach und ursprünglich


Es ist ihr Stammlokal - vor allem wegen der Weine, sagt die junge Frau. "Sie erinnern mich an Erde, an Gestein. Sie sind so einfach." Einfach sind auch die Speisen im Maxim, vor allem sind sie sehr geschmacksintensiv. Man könnte auch sagen sehr ursprünglich. Eine Speise, die zu einem naturbelassenen Wein passt, muss die Geschmacksknospen stark reizen. Wie zum Beispiel der warme Ziegenkäse mit Grapefruitgelee, die Geflügelleber mit süßen Zwiebeln oder die Leberwurstpaste mit frischen Kräutern.
Sophie Hunger und ihre Begleiter langen zu. Sie sitzen draußen. Vor dem Lokal stehen auf dem halben Fußweg eine schmale, einfache Holzbank und Tisch. In der kleinen Seitenstraße, die in einer Sackgasse endet, ist vom Lärm der Millionenstadt nichts zu hören. Maxime Boillat schenkt nach - den Wein des Winzers aus Tschechien.
Die drei Freunde haben es sich gemütlich gemacht. Über ihnen, an der Hausfassade, rankt sich eine Pflanze über das Fenster und wächst bis zum Dachfirst. Es ist wilder Wein. Er scheint sich an diesem Ort besonders wohl zu fühlen.

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