"Wir fühlen uns überfordert"

Bernkastel-Kues · Der Stadtrat Bernkastel-Kues hat den Jahresabschluss 2009 beschlossen und dem Stadtbürgermeister und den Beigeordneten Entlastung erteilt. Der Rechnungsprüfungsausschuss will allerdings die Jahresrechnung 2010 nicht mehr allein unter die Lupe nehmen. Dies sei wegen des neuen Buchungssystems und der gestiegenen Anforderungen zu schwierig und aufwendig.

 Stadtbürgermeister Wolfgang Port mit zwei Haushaltsplänen der Stadt. Rechts der Haushalt 2013. Er ist nach dem doppischen Buchführungssystem erstellt und umfasst über 400 Seiten. Daneben der Haushaltsplan 2008, erstellt nach dem alten System. Dieser ist nur halb so dick. TV-Foto: Winfried Simon

Stadtbürgermeister Wolfgang Port mit zwei Haushaltsplänen der Stadt. Rechts der Haushalt 2013. Er ist nach dem doppischen Buchführungssystem erstellt und umfasst über 400 Seiten. Daneben der Haushaltsplan 2008, erstellt nach dem alten System. Dieser ist nur halb so dick. TV-Foto: Winfried Simon

Bernkastel-Kues. Die im Jahr 2009 vom Land für die Kommunen verpflichtend eingeführte doppische Buchführung (siehe Extra) ist Stadtbürgermeister Wolfgang Port ein Dorn im Auge. Port: "Sie bringt überhaupt keine Vorteile, hat uns schon sehr viel Geld gekostet und ist für den Normalbürger kaum verständlich." Port ist schon seit Jahren ein scharfer Kritiker dieses Buchführungssystems. Bei der letzten Stadtratssitzung platzte ihm aber endgültig der Kragen. Grund: Der Rechnungsprüfungsausschuss - er besteht aus Mitgliedern des Stadtrates - sieht sich nicht mehr in der Lage, den Jahresabschluss vorschriftsgemäß zu prüfen. Ausschussvorsitzende Gertrud Weydert (Die Grünen): "Wir fühlen uns überfordert. Das vorherige System war nachvollziehbar und einfacher."
Nicht nur Steuerberater im Rat


Vor der Doppik galt die Kameralistik. Der Auftrag lautete, zu prüfen, ob der Haushaltsplan eingehalten wurde, die Rechnungen begründet und belegt sind, bei den Ausgaben und Einnahmen nach dem Gesetz verfahren wurde und ob die Verwaltung sparsam und wirtschaftlich geführt wurde. Nun sollen die Rechnungsprüfer auch eine Lageanalyse erstellen, um der Kommune Chancen und Risiken für die künftige Entwicklung darzulegen. Der Gemeinde- und Städtebund Rheinland Pfalz erklärte bereits im Februar 2012 dazu: "Die Rechnungsprüfung unter doppischen Blickwinkeln ist umfangreicher als die bisherige kameralistische Jahresabschlussprüfung. Die Ausschüsse benötigen oft mehrere Sitzungen, bringen viel Zeit auf und fordern Unterstützung bei der Bewältigung dieser Aufgabe."
Stadtchef Port sagt: "Im Stadtrat sitzen nicht nur Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer. Er stellt vielmehr einen Querschnitt der Bevölkerung dar."
Den Jahresabschluss 2009 der Stadt Bernkastel-Kues, der unter anderem ein Eigenkapital von 28,25 Millionen Euro und ein Bilanzvermögen von 54,69 Millionen Euro ausweist, hat der Rechnungsprüfungsausschuss beschlossen, den Abschluss 2010 will er aber nicht mehr ohne fachliche Unterstützung prüfen.
Die Stadt überlegt daher, einen Wirtschaftsprüfer zu engagieren. Doch der kostet Geld. Nach Angaben von Günter Wagner, Kämmerer der VG Bernkastel-Kues, im Fall der Stadt mindestens 10 000 Euro. Wagner will sich nun erkundigen, ob der Landesrechnungshof bei der nächsten Rechnungsprüfung fachliche Unterstützung leisten kann. Ende April befasst sich der Haushalts- und Finanzausschuss mit dem Thema und wird dann möglicherweise darüber entscheiden, ob die Stadt viel Geld in einen Wirtschaftsprüfer investieren will.
Der Bürgermeister der VG Kröv-Bausendorf, Otto Maria Bastgen, sieht das Thema entspannter. Er sei von Beginn an gegen die Doppik gewesen, nach der Einführung habe sich die Verwaltung aber sofort mit dem neuen System intensiv befasst. Einen Mitarbeiter habe man zu einem Bilanzbuchhalter ausbilden lassen. Bastgen: "Und wir haben die Doppik so aufgearbeitet, dass unsere Ratsmitglieder damit klarkommen." Die VG Kröv-Bausendorf könne auch ihre Jahresabschlüsse alle fristgerecht erstellen. Bastgen: "Wir sind voll auf der Höhe."
Meinung

Die Kassen bleiben leer
Unter den Bürgermeistern und in den Verwaltungen findet man kaum jemanden, der sich positiv zu der vom Land eingeführten doppischen Haushaltsführung äußert. Zu teuer, zu kompliziert, komplett unübersichtlich, lauten die Kommentare. Die Arbeit der Ämter muss nun in Hunderte von Produkten - von der Tiefgarage bis zur kleinsten Grillhütte - zerlegt werden. Der Ärger ist auch deshalb groß, weil das Land für seinen Haushalt die Doppik nicht anwendet. Ob man so oder so die Zahlen bucht und bilanziert: Die desolate Finanzsituation der meisten Kommunen ändert sich nicht. Hier muss das Land aktiv werden. w.simon@volksfreund.deExtra

Die kamerale Haushaltsführung (abgeleitet vom lateinischen "camera", meist als "fürstliche Schatztruhe" übersetzt) wurde in den Kommunen von der Doppik abgelöst. Das Wort steht für "Doppelte Buchführung in Konten". Gemeint ist damit der Buchführungsstil, der als kaufmännische Rechnungslegung auch in der freien Wirtschaft praktiziert wird. Kern der Doppik ist die doppelte Buchung sämtlicher Geschäftsvorgänge auf zwei Konten. Dabei werden im Gegensatz zur früher praktizierten kameralistischen Buchführung nicht nur Zahlungs-Ein- und -Ausgänge festgehalten, sondern auch Schulden, Güter und Außenstände. Ziel ist es, alle Geschäftsvorfälle zeitnah und umfassend zu dokumentieren. Zum Haushalt 2009 war die Umstellung im Land Pflicht. Ein kameraler Haushalt weist nur die fälligen Einnahmen und Ausgaben im jeweiligen Jahr nach. Was an Kosten oder Folgekosten auf die Kommune noch zukommt - zum Beispiel für Pensionen -, ist dort nicht verzeichnet, ebenso wenig wie Vermögensveränderungen oder die Werte kommunaler Immobilien und anderen Eigentums. uhe/fpl

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