Wittlich: Eine Baustelle - viele Leerstände

Wittlich · Baustellen prägen die Wittlicher Innenstadt. Gut 24,34 Millionen Euro an Investionen sind in den vergangenen drei Jahren in Bauprojekte in der City geflossen. Damit wurden Wohn- und Geschäftshäuser saniert oder neu errichtet und alte Bausubstanz abgerissen. Zwar wohnen nun wieder mehr Menschen in der Stadtmitte, doch auch mehr als 30 Ladenlokale stehen leer.

Wittlich. Eine elegant gekleidete Schaufensterpuppe weist den Weg: Dorothe Follmann hat ein etwas anderes Hinweisschild für ihr Modeatelier Tuchfühlung gefertigt, weil die Altneugasse wegen Bauarbeiten teilweise gesperrt ist.
Ursprünglich hatten die Bauherren geplant, die Verbindung von der Burgstraße in Richtung Neustraße von September bis März 2015 auch für Fußgänger komplett zu schließen. "Dann wäre hier keiner mehr durchgekommen", sagt die Modedesignerin. "Da geht es um meine Existenz." In einer Anliegerversammlung hätten sie und die Bewohner Beschwerde eingelegt. Mit Erfolg, denn nun ist die Gasse nur halbseitig mit rot-weißen Kunststoffzäunen abgesperrt. Für Follmann ist es Baustelle Nummer zwei; vorher war es das Passagen-Projekt, das ihr Geschäft beeinträchtigt hat.
Bauprojekte in der Altstadt: Die aktuelle Baustelle in der Altneugasse ist nur ein Nebenschauplatz; das zu sanierende Gebäude, das ehemalige Geschäft Leder Lütticken, erstreckt sich um das Geschäft Gelz herum bis in die Burgstraße. Dort blockiert ein gelber Kran Dreiviertel der Straße. Der Immobilienmakler Marvin Jeske investiert dort 1,2 Millionen Euro - hinzu kommen Fördermittel des Landes - in ein Wohn- und Geschäftshaus. Entstehen sollen sieben hochwertige Wohnungen sowie ein Ladenlokal.
Nur wenige Meter weiter entstand zwischen 2010 und 2013 das Passagen-Projekt "Altstadt - Die Neue" zwischen Altneugasse, Neu- und Burgstraße mit drei Geschäften sowie 20, größtenteils barrierefreien Wohnungen und 20 Tiefgaragenplätzen. Während die Passage gebaut wurde, sei der Zugang vom Marktplatz fast die ganze Zeit gesperrt gewesen, erinnert sich Dorothe Follmann. Drei Jahre lang hat die heute 50-Jährige in ihrem Atelier, in dem sie seit 2000 arbeitet, durchgehalten, hat Dreck, Staub und Krach getrotzt. "Der Baulärm ist auch jetzt ganz enorm", sagt sie. Telefonieren sei nicht immer möglich. Denn im Haus nebenan werden Wände eingerissen. Lärm und - etwas weniger - Dreck gibt es auch auf dem Marktplatz. Dort wird seit September 2013 die Alte Posthalterei von Grund auf restauriert. Im späten Frühjahr 2015 soll dort ein Gastronomiebetrieb mit Außenbestuhlung ins Erdgeschoss ziehen, die Stadt mietet zwei Obergeschosse. Zudem würden die benachbarten Gebäude auf Vordermann gebracht, sagt Stadtsprecher Jan Mußweiler. Der Investor beabsichtige, das gesamte Areal zwischen Burg- und Kirchstraße peu à peu zu sanieren.

Programm "Aktive Stadtzentren": Rund 1,85 Millionen Euro Fördermittel sind seit 2009 durch das Programm "Aktive Stadtzentren" nach Wittlich geflossen (siehe Extra). Insgesamt beträgt das Investitionsvolumen 24,34 Millionen Euro. Der Verein Stadtmarketing begrüßt das Innenstadt-Entwicklungskonzept. Die sanierten Häuser würden für ein freundlicheres Erscheinungsbild sorgen, sagt Karsten Mathar, Stadtmarketing Wittlich. Das erwarten er und Mußweiler auch von der Alten Posthalterei. Die Stadt könne mit der besonderen Atmosphäre punkten, so Mußweiler. Sie habe die Rahmenbedingungen geschaffen. Unter anderem habe sich die Einwohnerzahl im Fördergebiet durch Wohnungsneubauten in drei Jahren von 600 auf 800 erhöht.

Leerstände: Leder Lütticken ist eines der mehr als 30 Geschäftsräume, die zurzeit im Bereich zwischen Trierer Straße, Schlossberg, Burg- und Neustraße leer stehen. Zwei davon - ebenfalls teilweise mit Steuermitteln errichtet - liegen in der Passage von Neustraße zur Altneugasse. Sie warten noch heute - fast zwei Jahre nach Fertigstellung - auf Erstmieter. Eigentümer Achim Lohner hatte zwar schon Anfragen gehabt, aber die Lage sei nicht besonders attraktiv, trotz neu gestaltetem Platz. "In der Altneugasse muss dringend was passieren", sagt er.
Mathar sieht einen Zusammenhang zwischen Alter und Baustruktur der Häuser sowie Häufigkeit von Leerständen: "Unsanierte Gebäude haben mehr Nachfrageprobleme als energetisch und optisch renovierte." Schwierigkeiten gebe es im Stadtgebiet häufig aufgrund der Größe des Ladens oder weil es nur einen Zugang durch das Geschäft in die Obergeschosse gebe. Die Häuser könnten deshalb nicht vermietet werden. Zudem sind Online-Shopping und die höhere Mobilität der Kunden mit ein Grund, weshalb Geschäfte schließen.
"Wir müssen die Innenstadt beleben und nicht die Kunden aus der Stadt auf die grüne Wiese führen", sagt Achim Lohner. Andernfalls würde die Innenstadt aussterben. Er sagt auch: "Der letzte Blödsinn war die Schlossgalerie. Und die Hausbesitzer dürfen keine astronomischen Mieten verlangen." Sie müssten darauf achten, dass der Mieter etwas mit seinem Laden verdienen kann, damit er im Geschäft bleibt.
Die Stadtverwaltung ist indes bemüht, die Leerstände zu kaschieren wie etwa in der ehemaligen Burgtorapotheke und Ihr Platz. Auch Geschäftsleute, Künstler und sogar ein Reiterhof nutzen leere Schaufenster, um auf ihre Angebote hinzuweisen.
Die Schaufensterpuppe als Hinweisschild auf ihr Atelier war Dorothe Follmann nicht genug. Sie hat sich auf die Suche nach einer gut sichtbaren Ausstellungsfläche gemacht. "Es hat eine Weile gedauert, bis mir jemand seinen Leerstand freigeräumt hat." Mit Hilfe von Diana Gerhards von der Stadtverwaltung sei sie fündig geworden. Nun schmücken ihre selbst entworfenen Kreationen das Schaufenster der ehemaligen Rathausapotheke an der Ecke Burgstraße/Schlossberg.
Liebe Leser: Was ist Ihre Meinung zum Zustand der Wittlicher Innenstadt? Bitte mailen Sie kurz an: mosel@volksfreund.de ; Vorname, Name und Wohnort nicht vergessen.Meinung

Zum Shoppen in die Innenstadt
Vor 20 Jahren war Wittlich eine blühende Kaufstadt. Heute herrscht gähnende Leere in vielen Straßen, auf den Plätzen und hinter den Schaufenstern. Stadt und Marketingverein versuchen durch Aktionen, die Innenstadt zu beleben. Stadt, Land, Bund und Investoren haben viele Ideen und Geld hineingepumpt. Doch es braucht mehr. Alle Beteiligten, auch Mietinteressenten und die Kunden, gehören zusammen an einen Tisch, um weitere, innovative Ideen zu entwickeln. Einfach wird das nicht, eine Patentlösung ist in weiter Ferne. Aber es ist die einzige Chance. Und auch die Wittlicher selbst können was tun - Jammern hilft nicht. Warum zum Shoppen nach Trier oder Luxemburg fahren? Noch gibt es in Wittlich (fast) alles. Und wie wärs denn mit einem Einkaufsbummel, statt sich durch Online-Shops zu klicken? Auch das belebt die Innenstadt. m.schneiders@volksfreund.deExtra

Die Stadtverwaltung hat zwischen 2009 und 2011 das Innenstadtentwicklungskonzept Stadt Wittlich erarbeitet. Es wurde ein Runder Tisch gebildet, dem neben den Mitarbeitern der Verwaltung je ein Vertreter der Stadtratsfraktionen und der Verein Stadtmarketing angehörte. Das Konzept war notwendig, um am Förderprogramm "Aktive Stadtzentren" teilnehmen zu können. Seitdem wurden 28 Sanierungsprojekte angegangen, von denen acht abgeschlossen sind. Zudem wurde achtmal der Abriss maroder Bauten gefördert. Die Modernisierungen (Investitionsvolumen 5,59 Millionen Euro) wurden mit 1,36 Millionen Euro aus dem Fördertopf bezuschusst. Die Abrissprojekte mit 491 202 Euro. Investiert wurden für die städtebauliche Entwicklung dieser Flächen insgesamt 18,75 Millionen Euro. Investoren können einen Zuschuss bis zu 25 Prozent für private Sanierungsarbeiten erhalten, höchstens jedoch 80 000 Euro. Stadt, Land und Bund beteiligen sich mit je einem Drittel an der Summe. Die Stadtverwaltung bietet den Eigentümern zudem eine Beratung an, um ihre Leerstände zu vermarkten, und führt auf der Internetseite www.wittlich.de ein Leerflächenkataster. mehi

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort