Wittlich ohne Säubrennerkirmes? Das ist keine Option

Wittlich · Für manchen ist sie wichtiger als, sagen wir: Weihnachten und Ostern zusammen. Wittlich ohne Säubrennerkirmes ist nicht mehr vorstellbar. Oder doch? Ein nicht ganz ernst gemeinter Versuch, das Unmögliche zu denken: Die Kirmes fällt aus!

Was wäre eigentlich, wenn die Kirmes ausfallen würde? Geht dann vielleicht die Welt unter? Das Schlagerfestival und der Kinderflohmarkt wurden ja damals auch wegen Hochwassers abgesagt. So eine unglaubliche Frage kann nur eine Kollegin aus dem Saarland stellen. Sie hat nämlich in all den Jahren ihrer Redakteursarbeit für die Lokalredaktion Wittlich nie den Sinn, ja den Zauber der Säubrennerkirmes verstanden. Sie ist auch nie hingegangen.

Für diese Kollegin würde die Kirmes also praktisch gar nicht stattfinden, wäre sie nicht gezwungen, sich beruflich damit zu beschäftigen: Sie muss also schon vor dem dritten Augustwochenende Artikel rund ums Thema bearbeiten. Diesen hier musste sie später auch druckfertig machen. Und damit ist schon eine Antwort gefunden: Die Saarländerin, immerhin mittlerweile nach Trier ausgewandert, hätte schlicht anderes Arbeitsmaterial und keinen Grund mehr, sich aufzuregen.

Doch nun ist sie schon mal ausgesprochen, die Frage, was Wittlich ohne Säubrennerkirmes wäre. Die erste Reaktion einer Wittlicherin übrigens, der die Frage gestellt wird: "Da kriege ich einen Herzinfarkt. Mir geht jetzt schon der Schweiß aus!" Echt jetzt.

Zunächst wären die Wittlicher auf jeden Fall komplett orientierungslos, weil aus der Zeit gefallen: Die Zeitmessung vor und nach der Kirmes hätte keinen Sinn mehr. Ein Julitag wie heute wäre also nichts weiter als ein Julitag ohne "vor der Kirmes".

Keine Baustelle würde mehr "vor der Kirmes" fertig. Ein weiteres Zeitphänomen wäre ebenfalls nicht mehr erlebbar: Das der berüchtigten Zeitlöcher, die bevorzugt auf dem Marktplatz entstehen. Da fällt man abends rein und kommt erst nachts oder gar morgens wieder raus!

Wenn man schon eine Zeitreise macht, will man naturgemäß gut aussehen: Dafür sorgen Wittlichs milliuunen Friseure. Ihr Handwerk hätte einen massiven Einbruch zu verkraften. Und der Herr Friseur, der die hölzernen Kirmesplaketten jedes Jahr herausgibt, kann nichts Gutes mehr für Wittlichs Kindergärten tun, für die er den Erlös immer spendet.

Apropos Erlös. Nie wird so viel Wein aller vier Wittlicher Winzer getrunken, das bringt also richtiges Kirmesgeld, das den Betrieben fehlen würde, auch den Vereinen, die zum Beispiel Bier als Alternative anbieten.

Andererseits: Die Stadt selbst würde kräftig sparen: Rund 200?000 Euro lässt sie sich alles vom Saubratenstand über die Musik bis zum Belagerungstrunk kosten. Jährlich. Manchmal mehr. Allein der Rummelplatz trägt sich selbst sozusagen. Den würden besonders die Jugendlichen vermissen, deren Adrenalinspiegel in dem Maß steigt, in dem der Geldbeutel leerer wird. Ja Kirmes lernt auch Verzicht! Und dass das kleine Glück käuflich ist, jedenfalls an der Losbude.

Neben diesen dann fehlenden Erfahrungen gibt es noch schwerwiegendere Folgen eines Kirmesausfalls: Preisverfall beim Schweinefleisch: Dramatisch weniger Nachfrage (statt 13?000 Portionen Saubraten an drei Tagen eben null), lässt den Preis sinken. Von den Brötchenpreisen ganz zu schweigen: die armen Bauern, ach.

Und dann die Folgen für die Geschichtsschreibung: Der Stadtschreiber, der das Protokoll der Vorjahreskirmes vorzutragen hat, hat im Folgejahr nichts in der Hand. Damit käme als Langzeitfolge einer ausgefallenen Kirmes der ganze komplizierte, traditionelle Festakt am Marktplatz ein Jahr später durcheinander. Die Fünfzigjährigen gar würden bis zur nächsten Kirmes einfach ein Jahr älter, ohne Umzugsteilnahme und Kirmeshochamt. Sie wären quasi nicht existent.

Überhaupt das Geschehen am Marktplatz: Kein Saubratenstand, weder Röstmeister noch Fettgeruch, keine Saubratenbonausgabe, kein Umzug durch die Stadt! Wann sonst außer Weiberdonnerstag, sieht man so viel Stadträte mitten im Volk? Politik zum Anfassen!

Und was ist mit dem Blumengruß an St. Rochus? Keine floristische Opfergabe an den Stadtheiligen? Das ist kein gutes Omen für Wittlichs Zukunft. Auch andere Opfergaben haben dann Pause: Die große Weinprobe in der Synagoge für geladene Gäste fällt ja aus. Die Prominenz muss draußen bleiben. Auch kulturell ist Sommerpause: Kein Kirmessschauspiel, kein Böllerschützendonnern, kein Meckern über das Musikprogramm und die Wildpinkler. Das wird fehlen.

Einen Vorteil des Jahres ohne Säubrennerkirmes gibt es zweifelsohne: Viele öffentliche Parkplätze, die ja ansonsten von Fahrgeschäften, Händlerständen, Imbiss- und Getränkebuden zugestellt sind, stehen zur Verfügung. Viele Wittlicher glauben, dass das ein entscheidender Faktor für eine florierende Innenstadt ist. Die Kirmes gibt ihnen jedes Jahr verlässlich absolut recht: Parkplätze vollgestellt, Geschäfte zu.

In die könnten all die Wittlicher nun ungestört einkaufen gehen, die ansonsten am dritten Augustwochenende die Stadt fluchtartig verlassen, weil ihnen der Rummel, die Musik, die Besucher, der ganze Ausnahmezustand einfach zu viel ist. Aber all die anderen müssen ein Jahr warten, um Freunde, Verwandte wiederzusehen, die nur an Kirmes nach Hause kommen. Überhaupt die Milliuuuunen Menschen, die nur ein Mal im Jahr den Weg in die Innenstadt finden, die Hotels und Pensionen bevölkern, dem Charme des Volksfestes um die gebratene Sau erliegen: Sie alle erleben halt irgendein Augustwochenende irgendwo, aber keine Säubrennerkirmes.

Also die Kirmes ausfallen lassen? Keine Option. Höchstens für Saarländer.
Warum ist die Kirmes für Sie unverzichtbar? Mailen Sie uns kurz Ihre Meinung mit Name und Anschrift an mosel@volksfreund.de

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