Wittlicher Schuhcreme - international gefragt

Wittlich · Die "Ermann-Straße" im Neubaugebiet an der Kalkturmstraße ist nach den beiden früheren Besitzern der "Chemischen Fabrik Wittlich, Ermann & Co." benannt.

Wittlich. Otto Ermann, der jüngste der sechs Kinder des Firmengründers Salomon Ermann und seiner Frau Gudella, vertrat die Interessen der Firma "Ermin" überwiegend von Düsseldorf aus. Die Gestapo Essen verfolgte ihn bis nach Holland und bezichtigte ihn schließlich der "Auslandsspionage". Das Leben des 51-jährigen Junggesellen endet am 28. Januar 1943 in Auschwitz-Birkenau.
Der Wittlicher Fabrikdirektor Alfred Ermann war schon 1914 eingezogen worden und hatte bis Kriegsende als Sanitäter in Ambulanzzügen verwundete Soldaten beim Rücktransport von der Front betreut. Im Jahr 1921 heiratet er die aus Groningen stammende Sibilla van Amerongen. Die vier Söhne kommen in Wittlich zur Welt, wo der Unternehmer unweit von seiner Fabrik eine von Kreisbaumeister Vienken in der Marienstraße 10 erbaute repräsentative Villa bewohnt. Der älteste Sohn Ralph erinnert sich an seinen Vater als geschäftstüchtigen Unternehmer, der sich auch im Wittlicher Bürger- und Handelsverein engagierte. Nach dem Boykott jüdischer Geschäfte und Unternehmen vom 1. April 1933 legt er als Zeichen seines Protestes alle Ehrenämter nieder.
Seine Frau Sibilla war eine weltgewandte Frau, die fließend Französisch und Englisch sprach und vor allem großes Interesse an Musik besaß. Selbst spielte sie leidenschaftlich Violine und Klavier und besaß eine umfangreiche Sammlung an Schallplatten mit klassischer Musik.
Ihre Söhne für das Klavier zu begeistern, gelang ihr jedoch nur bedingt. Für diese war das Gelände der Schuhwichsfabrik viel interessanter und ein einziger großer Abenteuerspielplatz mit geheimnisvollen Kellerräumen und einer "Hexenküche", dem chemischen Labor des Dr. Lachs. Hier entwickelte der jüdische Ingenieur ständig die international gefragten "Ermin"-Produkte weiter. Zur Fabrik gehörte auch ein umfangreicher Fuhrpark mit Kraftwagen sowie ein betriebseigenes Bahngleis - bestens geeignete Möglichkeiten für die Ermann-Jungen, die Nerven des Vaters und der Firmenmitarbeiter zu strapazieren.
Stadt- Geschichte(n)


Diese glückliche Kindheit findet ein abruptes Ende, als die Fabrik im Juli 1936 "arisiert" wird und die Familie Ermann die Heimatstadt Wittlich verlässt. In der Anonymität der Großstadt Köln übersteht man den Novemberpogrom 1938 unbeschadet, aber eine Zukunft in Deutschland gibt es nicht mehr.
Im Mai 1939 ziehen Ermanns zu niederländischen Verwandten nach Arnheim. Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen am 10. Mai 1940 verschärft sich die Situation. Wie die Familie Ermann müssen Tausende deutsch-jüdische Emigranten und niederländische Juden ab 1942 ständig befürchten, von der deutschen Ordnungspolizei und niederländischen Feldgendarmerie bei Razzien aufgegriffen zu werden.
Die inzwischen halbwüchsigen Jungen können ihre Ausbildung nicht zu Ende bringen. Der zweitälteste Sohn Herbert hatte es etwas besser getroffen, weil er bereits 1939 von Köln mit seiner Klasse der Javne-Schule nach England evakuiert worden war.
Alfred und Sibilla Ermann misstrauen dem "Jüdischen Rat", der im Auftrag der deutschen Besatzer zum "Arbeitseinsatz im Osten" aufruft und tauchen unter. Im März 1943 werden sie bei einer SS-Razzia entdeckt. Möglicherweise sind sie verraten worden. Auf versteckte Juden hatten die Deutschen ein Kopfgeld von 7,50 Gulden ausgesetzt. Während die Eltern in das SS-Durchgangslager Westerbork verschleppt werden, können die drei Söhne bis Kriegsende mit der Hilfe mutiger Niederländer und glücklichen Zufällen in ständig wechselnden Verstecken bis Kriegsende überleben.
Söhne emigrieren in die USA


Zusammen mit mehr als 1200 Juden werden Alfred und Sibilla Ermann am 30. März 1943 in das Vernichtungslager Sobibor im südöstlichen Polen deportiert, wo sie direkt nach der Ankunft am 2. April 1943 vergast werden. Nicht einmal Abschiedsbriefe an ihre Söhne konnten die Eltern schreiben, wussten sie doch nicht um deren Verstecke. Nach dem Krieg finden die vier Söhne wieder zusammen und emigrieren in die USA. Der älteste Sohn von Alfred und Sibilla Ermann, Ralph Erman, lebt heute mit seiner ebenfalls aus Deutschland stammenden Frau Hanne in New York. Die Erinnerungen an eine glückliche Kindheit mit seinen Eltern und Geschwistern in Wittlich, aber auch die Anfeindungen früherer Freunde, die schon in der ersten Monaten der NS-Diktatur in die Hitlerjugend eingetreten waren, und seine Ängste und Qualen in stickigen Dachkammern und feuchten Erdlöchern hat er aufgeschrieben und auf der biografischen Datenbank des Leo Baeck Instituts (New York) als Erinnerung an seine ermordeten Eltern hinterlegt.
Die Klasse 10 a des Wittlicher Cusanus Gymnasiums übersetzt "Ralph\'s story" zurzeit unter Anleitung ihrer Englischlehrerin Diana Kling. Bis zum Dezember 2013 soll alles fertig sein - dann wird Ralph Erman (Anmerkung der Redaktion: amerikanisierte Schreibweise des Namens) 90 Jahre alt.

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