Wittlicher St. Martin gibt's seit mehr als 80 Jahren

Wittlich · Dass der Kulturausschuss die kostenlose Brezel-Ausgabe nach dem Martinszug streichen und den Zugablauf ändern will, beschäftigt die TV-Leser. Sie haben auch nachgeforscht, seit wann es den Umzug eigentlich gibt: Demnach hat Matthias Joseph Mehs, der legendäre Bürgermeister, der auch die Säubrennerkirmes erfunden hat, 1928 den "zentralen Freudentag für die Kinder" initiiert.

 St.-Martin-Illustration des Merkblatts zur „Einführung des Martinszuges der Wittlicher Jugend“ aus dem Jahr 1928. Foto: Sonja Sünnen

St.-Martin-Illustration des Merkblatts zur „Einführung des Martinszuges der Wittlicher Jugend“ aus dem Jahr 1928. Foto: Sonja Sünnen

Wittlich. Wie aufmerksam die Wittlicher Stadtgeschichtliches betrachten, zeigen die Leserreaktionen auf die anstehenden Neuerungen beim Martinszug (der TV berichtete). Ungeklärt blieb dabei, wann es denn das erste Mal einen Zug der Kinder hinter dem Mann zu Pferd durch die Stadt gegeben hat.
Stadt- Geschichte(n)


Dazu hat Marianne Bühler eine Antwort in den Tagebüchern von Matthias Joseph Mehs gefunden. Sie zitiert ihn daraus: "Der Verein zur Durchführung des Martinszuges hatte für dieses Jahr seine erste Zusammenkunft, wobei der engere Vorstand, der die Sache zu schmeißen hat, gewählt wird. Im ersten Jahr hatte ich die ganzen Vorbereitungen alleine gemacht, im vorigen Jahr half mir ein wenig Lehrer Peter Kremer, in diesem Jahr soll Claus Brand noch hinzukommen." Das schrieb der legendäre Bürgermeister 1929. Und vom Vorjahr ist auch ein "Merkblatt zur Einführung des Martinszuges der Wittlicher Jugend 1928" überliefert, das Peter Daus noch gefunden hat, und auch eine Aufstellung des Zuges selbst: Auf eine Abordnung der Feuerwehr folgten: Musikkapelle der Philharmonie, St. Martin hoch zu Roß, Wagen der Bäckerinnung mit Zuckerbrezeln, begleitet von Feuerwehrleuten mit Fackeln, die Kleinsten, jedoch nur in Begleitung Erwachsener, die Kinder des Kriegerwaisenhauses, die Knaben der Volksschulen, die Mädchen der Volksschulen, Musikkapelle der Feuerwehr, der Gänsewagen, begleitet von Feuerwehrleuten mit Fackeln, die Höhere Stadtschule, die Höhere Mädchenschule, die Aufbauschule, Feuerwehrleute mit Fackeln.
Der Zug ging von der Karrstraße (damals Kahrstraße) bis zum Schloßplatz, wo das Martinsfeuer brannte. Dann zog er zurück zur Karrstraße, wo die Zuckerbrezel verteilt wurden.
Und Franz-Josef Schmit weist darauf hin: "Im Übrigen alles genau nachzulesen bei Dr. Klaus Petry, Die Geschichte der Stadt vom beginnenden 19. Jahrhundert bis zur Zeitenwende am 10. März 1945, Band 2, Seiten 314 bis 319." Klaus Petry schreibt, dass bei der Premiere 1015 Schüler dabei waren. Finanziert wurde der Umzug durch den Verkauf von Losen für die Gänse und der Merkblätter. Damit machte man sogar einen Überschuss, der an bedürftige Kinder verteilt wurde.
Weitere Leserreaktionen zum Artikel: "Keine Gratis-Brezeln mehr in Wittlich":
Ralph Lerch, Wittlich: St. Martin ohne Brezel ist ja noch schlimmer als der Verkehrversuch. Warum verteilt man nicht in Wittlicher Kindergärten und Grundschulen Bons, für die die Kinder nach dem Martinszug eine Brezel bekommen? Problem gelöst!
Peter Daus, Wittlich: Wie man aus dem TV erfährt gibt es keine Gratis-Brezeln mehr. Leider wird diese alte Tradition in Wittlich verloren gehen. Sicherlich haben die Mitglieder im Kulturausschuß kein Herz für Kinder. Damit das Brauchtum nicht in Vergessenheit gerät, könnte man auch im Jahr 2012 durch Verkauf von Brezelkarten die Ausgabe von Brezeln gegen Gutschein vornehmen. Damit könnte auch zur Finanzierung des Zuges beigetragen werden. Der Reinertrag ist für die bedürftigsten Wittlicher Kinder bestimmt.
Nadine Vollmer, Wittlich: Sollten wir dann besser die Säubrenner-Kirmes auch absagen, weil es immer wieder zu Prügeleien kommt? Und am Weihnachtsmarkt gibts Taschendiebe. Lieber sagen wir den ab... Sollen wir, weil sich Einzelne danebenbenehmen, sämtliche Attraktionen aus Wittlich verbannen? Was ist mit den (jüngeren) Kindern der weiterführenden Schulen, die auch noch gerne in den Umzügen mitgehen? Der Umzug an St.-Martin ist eine der wenigen Gelegenheiten, an denen das Kind mit seinen Eltern gemeinsam unterwegs ist. Die Austeiler der Brezel sollten doch so viel Mumm haben, einem Erwachsenen einen Korb anstatt einer Brezel zu geben und gut ist. Lasst den Kindern doch ihre Brezel!
Ossi Steinmetz, Bausendorf (Ortsbürgermeister): Dass der Martinszug, eine Traditionsveranstaltung insbesondere für unsere Kinder, in der Kreisstadt Wittlich in dieser Form thematisiert wird, finde ich schon bemerkenswert, ja sogar sehr traurig. Wir haben in der Gemeinde Bausendorf keinen Kulturausschuss als Entscheidungsträger. Die Pflege des Brauchtums ist uns ein Herzensanliegen, insbesondere wenn es um Kinder geht. Die Gemeinde und die Vereinsgemeinschaft, ein Zusammenschluss von noch neun Ortsvereinen, zeichnen seit Jahrzehnten mit Unterstützung unserer Kita für einen sehr schönen und kindgemäßen Ablauf der Martinsveranstaltung verantwortlich. Da es uns trotz knapper Gemeindekasse auf ein paar Brezel nicht ankommt, laden wir interessierte Wittlicher Familien zur Teilnahme an unserem Martinszug am Samstag, 10. November, nach Bausendorf ein.
Hans Jörg Krames, Wittlich: Ja, es ist ärgerlich und schwer erträglich, wenn sich Erwachsene über kostenlose Brezel, die von der Stadt für Kinder des Martinsumzugs zur Verfügung gestellt werden, "hermachen"!
Dennoch sollte die "gute alte Tradition" der kostenlosen Brezel beibehalten werden. In einem sozialen Gesellschaftssystem gibt es immer wieder Menschen, die das System ausnutzen, um sich persönliche Vorteile zu sichern. Damit muss der Sozialstaat leben. Und mit dieser Raffgier Einzelner sollte auch die Stadt Wittlich leben (können). sos

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