Wunsch nach Normalität

BERNKASTEL-KUES.Vor 16 Jahren eine revolutionäre Idee und heute ein Stück Normalität: Neun Behinderte lernen in der Außenwohngruppe in der Cusanusstraße, den Alltag zu meistern.

Nach und nach kommen sie von der Arbeit auf dem Kueser Plateau nach Hause und machen es sich in der Sitzecke auf der Wiese neben ihrem Haus gemütlich. Die neun behinderten Bewohner der Außenwohngruppe (AWG) des DRK-Sozialwerks genießen das familiäre Dasein in der Cusanusstraße."Wir können ihnen zwar keine Familie ersetzen, aber hier einen familiären Alltags-Rahmen schaffen", betont Betreuer Wilhelm Falkenberg. Er ist mit Betreuerin Ingrid Friedrich Ansprechpartner in allen Lebenslagen.Auch in Zeltingen-Rachtig gibt es eine Gruppe

"Hast du nachher ein bisschen Zeit für mich", diese Frage hört er an diesem Tag gleich mehrmals von heimkommenden Bewohnern. Diese erste AWG wurde vor 16 Jahren eingerichtet. Die Leute wohnten vorher alle in den Wohnheimen auf dem Plateau. Ganz unterschiedlich sind die Behinderungen der Menschen dort. Warum also sollte es nicht möglich sein, eine kleine Gruppe von Bewohnern zu bilden, deren Behinderung es zulässt, die Lebensqualität zu erhöhen und am normalen Leben besser teilnehmen zu können."Mit acht Leuten haben wir damals angefangen. Geistig und psychisch Behinderte haben sich zusammengefunden, es sind Freundschaften entstanden, und es haben sich sogar zwei Ehepaare gefunden", berichtet Falkenberg, der seit 20 Jahren beim DRK-Sozialwerk tätig ist.Jeder Bewohner hat seinen Intimbereich, ansonsten trifft man sich in Küche und im Wohn-Aufenthaltsraum. Und ganz oben steht immer wieder der Wunsch nach "Normalität". Das tägliche Leben bestreiten die Bewohner ganz selbständig. Einkauf, Wäschepflege, Kochen, Spülen, Wohnung in Ordnung halten, Gaststätten- oder Arztbesuch - das alles ist für die AWG-Mitglieder kein Problem, denn alles finden sie in der Nähe."Natürlich musste alles langsam wachsen", bemerkt Falkenberg. "Zu Anfang haben wir Betreuer noch Nachtbereitschaft gemacht und uns ums Frühstück gekümmert, doch jetzt machen wir nur noch Spätdienst". Vier von den Bewohnern der "ersten Stunde" sind noch in der AWG, seit einem Jahr ist der Gebäudekomplex Eigentum des DRK-Sozialwerkes. Die Betreuer sehen den Schritt sehr positiv. Falkenberg: "Hier sind die Bewohner im Grunde auf sich gestellt und ständig gefordert, Entscheidungen zu treffen".Für das DRK war diese Idee damals etwas völlig Neues, inzwischen existiert eine zweite Gruppe mit vier Bewohnern in Zeltingen-Rachtig."Es ist uns gelungen, eine solche Harmonie zu schaffen, dass die Frauen und Männer der AWG auch fähig sind, Konflikte gemeinsam zu lösen", so der Betreuer.Vorreiter war die Gruppe auch im Urlaubmachen. Anstatt die schönsten Wochen des Jahres immer in Landschulheimen zu verbringen, wurde auch mal Campingurlaub oder Zelten ausprobiert. Und schließlich wagte die Gruppe gar das Fliegen und machte Ferien auf Mallorca. "Das war toll", kommt es wie aus einem Munde. Dabei haben die Bewohner gezielt für ihren Urlaub gespart - wie jeder andere auch. Nächstens Ziel ist die Insel Kos.Man müsse Behinderte für Neues begeistern, sie fordern und ihnen Dinge zutrauen, dann zögen sie mit, unterstreichen Falkenberg und Brigitta Hahn, Leiterin des DRK-Wohnheimes 1 auf dem Plateau.Soviel Freiheit wie möglich, soviel Führung wie nötig, nach diesem Motto funktioniert das Leben in der AWG. Alle haben eine hohe Arbeitsmotivation, die sie nicht nur an ihren Arbeitsplätzen in den DRK-Werkstätten in den Bereichen Weinbau, Schlosserei, Montage oder Küche zeigen, sondern auch im Alltag. Seit 16 Jahren wohnt die 46-jährige Adelheid schon hier, aber auch Bianca (29 Jahre) möchte das familienähnliche Zusammenleben nicht mehr missen.Behinderte brauchen Vorbilder

Die 29-jährige Michaela lebt mit Ehemann Michael in der AWG und der 41 Jahre alte Helmut ist verheiratet mit der 38-jährigen Veronika.Dann kommen auch Werner (51), Elisabeth (44) und Patrick (22) nach Hause und gesellen sich zu den anderen im Garten. Noch ist hier nur eine Sitzecke, doch das soll einmal eine grüne Oase zur Entspannung am Feierabend werden.Helmut, der heimliche Hausmeister, passt auf, dass keine Zigarettenkippen den Rasen verunstalten.Zum Hoffest der AWG werden alle Nachbarn eingeladen, denn gute Nachbarschaft ist wichtig. "Wir sind sehr positiv angenommen worden, die Nachbarn mögen unsere freundlichen und hilfsbereiten Leute", so Falkenberg: "Und unsere Bewohner brauchen Vorbilder, an denen sie sich orientieren können".

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