Zu Gast beim barocken Großbürger

Traben-Trarbach · Wo Goethe mit dem reichen Kaufmann Böcking beim Wein parlierte, bröckelt heute der Putz. Die prachtvolle Barockvilla Böcking in Traben-Trarbach beherbergt heute zwar keine berühmten Herrschaften mehr, dafür bietet sie bedeutsame Kunstschätze und wertvolles Mobiliar unter dem Dach des Mittelmosel-Museums.

Traben-Trarbach. Es muss das erste Haus am Platz gewesen sein. Sonst wären nicht der spätere preußische König Friedrich Wilhelm IV. und Johann Wolfgang von Goethe hier zu Gast gewesen. Ein Sturm führte dazu, dass der Dichterfürst, der mit einem Ruderboot auf der Mosel unterwegs war, am 2. November 1792 in Traben-Trarbach an Land ging. Als der reiche Kaufmann Johann Adolf Böcking davon Wind bekam, lud er ihn zu sich nach Hause ein. So kam es, dass Goethe die breiten Sandsteinstufen zur Belle Etage der 1755 erbauten Barockvilla hinaufschritt.
Den Flur schmücken heute noch Ölgemälde in protzigen Goldrahmen aus der Zeit. Porträts der einstigen Hausherrren und Landschaften, letztere gemalt vom Traben-Trarbacher Kaufmann Carl Wentzing. Dieser blieb als Künstler zwar unbekannt, aber in seinem Können sei er auf einer Ebene mit Caspar David Friedrich anzusiedeln, meint Christof Krieger. Der 41-jährige Historiker führt das Haus als Museum und findet es nicht nur an dieser Stelle in seiner Bedeutung unterschätzt.
"Eine Lebensaufgabe"


Für Krieger ist es "eins der denkmalwürdigsten Gebäude der Stadt" und "eine Lebensaufgabe". Als Museumsleiter stellt er sich der Herausforderung, das schlossähnliche Stadthaus mit stark begrenzten finanziellen Mitteln als Museum konzeptionell voranzubringen. In den vergangenen zehn Jahren, in denen er hier Hausherr ist, hat er einiges verändert. Vor allem hat er den verstaubten Heimatmuseumscharakter weggefegt und präsentiert die barocke Villa wieder als das, was sie einst war: ein Wohnhaus von hohem kulturellen Rang. Keine leichte Aufgabe. Denn einen städtischen Etat für Restaurierungen oder konzeptionelle Modernisierungen gibt es nicht. Ohne Förderverein würde das Museum im Regen stehen. Krieger umschreibt die stiefkindliche Rolle, in der die Barockvilla steckt, diplomatisch: "Das Werbepotenzial im Hinblick auf den Tourismus ließe sich ausbauen." Stolz verweist er auf die Pfunde, mit denen das Museum stärker in der Öffentlichkeit wuchern könnte: Das ist zum Bespiel der Hammerflügel von 1811 aus der Wiener Werkstatt von Nanette Streicher, die auch für Beethoven Klaviere baute. Oder die Porzellan-Vase, mit der sich der spätere preußische König Friedrich Wilhelm IV. bei Familie Böcking für die Unterkunft bedankte.
"Als Großbürgerhaus des 18. Jahrhunderts mit der Qualität der Einrichtung ist es landesweit einmalig und nur vergleichbar mit dem roten Haus in Monschau", beurteilt Krieger die Bedeutung.
In den vergangenen zehn Jahren hat Christof Krieger daran gearbeitet, jeden Raum unter einem sozialgeschichtlichen Aspekt einzurichten und ihn von unpassendem Tand zu befreien. So wie im Herrenzimmer: Dort hängen nun die Degen über einem Schrank mit Gewehren, neben dem eine Vitrine mit Pfeifenköpfen steht. Dazu schlägt eine Pendeluhr die Zeit. Weiter gibt es ein Schlafzimmer, ein kaufmännisches Kontor und einen Musiksalon, der neben dem kostbaren Flügel besonders durch seine mit bemalter Leinwand vertäfelten Wände beeindruckt. Als Nächstes will Krieger die Bibliothek und die Räume der Dienerschaft herrichten, die zuständig war, für einen reibungslosen Alltag des Erbauers und seiner elf Kinder zu sorgen.
Dabei verlangt das Haus eigentlich noch mehr. Laut Denkmalpflege müsste es generalsaniert werden. Krieger zeigt auf die Risse in den Wänden und den Stuck, der von der Decke bröckelt. Ein Projekt, das wegen fehlender Geldmittel nicht in Aussicht steht.

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Extra

Jährlicher Höhepunkt im Kalender ist der letzte Samstag im September. Dann erwacht das herrschaftliche Stadthaus zum Leben. "Living History" lautet das Schlagwort. Rokokodamen sitzen beim Kaffeekränzchen, ein Schreiber arbeitet im Kontor, im Salon feiert eine Hochzeitsgesellschaft, Goethe gesellt sich beim Wein zu Familie Böcking und in der Küche wirbelt das Personal. In der Museumsnacht am 29. September sind mehr als 70 Akteure auf den Beinen, um die Besucher von 19 bis 23 Uhr mit auf die Zeitreise zu nehmen. sysExtra

Bis 1911 lebte die letzte Nachfahrin aus der Familie Böcking in der Villa. Nach ihrem Tod wohnten bis in die 1960er Jahre vier Mietparteien auf den zwei Etagen. Seit 1967 ist die Villa in der Casinostraße 2 im Besitz der Stadt Traben-Trarbach. Nach einer zweijährigen Sanierung wurde das Gebäude 1969 als Museum in Trägerschaft der Stadt eröffnet. Die Ausstellungsstücke gehen größtenteils auf die Sammlung von Dr. Ernst Willen Spies zurück, der das Traben-Trarbacher Heimatmuseum 1928 gründete. Seit dem Umzug des Heimatmuseums in die Villa Böcking sind in 20 Räumen Mobiliar und Kunstgegenstände aus dem 18. und 19. Jahrhundert zu sehen. Unterm Dach befindet sich die Sammlung zur Stadtgeschichte mit den Schwerpunkten Festung Mont Royal und Grevenburg. Seit 2001 steht das Mittelmosel-Museum unter der Leitung von Christof Krieger. Der 41-Jährige studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Gießen und Trier. sys Das Museum ist täglich außer Montag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Weitere Informationen: www.mittelmosel-museum.de, Telefon 06541/9480.

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