Zu viel Bürokratie zwischen Stall und Acker

Eines der Ziele der europäischen Agrarreform von 2003 war der Abbau der Bürokratie. Aus Sicht der Bauern wurde dieses Vorhaben jedoch nicht erreicht. Im Gegenteil: Der Verwaltungsaufwand habe zugenommen, klagen die Verbände.

 Der Alltag in der Landwirtschaft ist zunehmend geprägt von Verordnungen und Formularen, die von den Bauern ausgefüllt werden müssen. TV-Foto: Uwe Hentschel

Der Alltag in der Landwirtschaft ist zunehmend geprägt von Verordnungen und Formularen, die von den Bauern ausgefüllt werden müssen. TV-Foto: Uwe Hentschel

Wittlich. Wenn es um das Spannungsfeld zwischen Landwirtschaft und Bürokratie geht, muss Manfred Zelder nicht lange überlegen. Zelder ist Vorsitzender des Bauern- und Winzerverbands Bernkastel-Wittlich, hat zudem 250 Rinder in seinem Betrieb und ist deshalb mit den zahlreichen Verordnungen und Richtlinien, die seinen Arbeitsalltag bestimmen, bestens vertraut.

Da wären zum Beispiel die BSE-Vorschriften. "Die bestehen bereits seit 1999, doch BSE ist mittlerweile so gut wie besiegt", erklärt Zelder. Und dennoch verlange die Verordnung, dass bei der Schlachtung sämtliche Tiere, die älter als 48 Monate sind, untersucht werden müssen, erklärt der Vorsitzende.

Im Winter am Schreibtisch statt in der Werkstatt



Weitere Verordnungen, die den Alltag erschwerten, seien unter anderem die Tierschutztransportverordnung oder aber die Liste über Tierverendungen. "Hier muss jeder Betrieb belegen, woran die Tiere verendet sind", sagt Zelder. Dass viele dieser Regelungen dem Verbraucherschutz dienten, dessen sei er sich bewusst, doch müsse das auch mit weniger Bürokratie möglich sein.

"Uns wird sogar vorgeschrieben, wann wir wie welche Pflugfurche ziehen müssen", sagt Michael Horper, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Bitburg-Prüm, und bezieht sich damit auf das Bodenerosionskataster. "Hier werden Dinge verlangt, die in der Landwirtschaft ohnehin als selbstverständlich gelten", fügt Horper hinzu. Nur dass diese jetzt auch genauestens dokumentiert werden müssen. Bis zu einem Viertel ihrer Arbeitszeit würden Landwirte mittlerweile hinter dem Schreibtisch verbringen.

Wurden früher beispielsweise die Wintermonate dazu genutzt, um dringend notwendige Reparaturarbeiten im Betrieb, an den Geräten oder Weidezäunen vorzunehmen, sind viele Landwirte jetzt damit beschäftigt, all die Büroarbeit nachzuholen, zu der sie in den Monaten davor nicht gekommen sind. Statt mit Hammer und Schweißgerät arbeiten sie mit Listen und Tabellen.

Deutschland setzt Vorgaben peinlich genau um



"Und wer nicht jeden Tag mit offenen Augen durch seinen Betrieb geht, hat keine Chance." Zu groß sei die Gefahr, gegen eine der sogenannten "Cross-Compliance-Verordnungen" (siehe Extra) zu verstoßen. Denn diese würden ständig kontrolliert. "Wenn wir morgens aufstehen, dann haben wir schon was falsch gemacht", sagt Horper.

Natürlich gebe es schwarze Schafe, die unberechtigterweise Agrarförderungen in Anspruch nähmen, fügt er hinzu, doch das seien höchstens fünf Prozent der Landwirte.

Zudem seien nicht die EU-Richtlinien das Problem, sondern die Umsetzung dieser Vorgaben in den einzelnen Ländern. In keinem anderen europäischen Land würden die Vorschriften derart peinlich genau umgesetzt wie in Deutschland, sagt Zelder.

Das gelte auch für die zum Teil ebenfalls zuständigen Bundesländer. "In Rheinland-Pfalz ist jedes landwirtschaftliche Element digitalisiert, und wenn Sie irgendwo einen Strauch wegnehmen, dann haben Sie ein Problem", sagt Horper. Und verglichen mit anderen Bundesländern gehe es in Rheinland-Pfalz relativ gesittet zu.

Diese Ansicht teilt offensichtlich auch das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau in Mainz. An der Agrarverwaltung des Landes gebe es keinen Anlass zur Kritik, "da wir im Agrarsektor zu nahezu 99 Prozent Europarecht vollziehen", sagt Pressesprecher Joachim Winkler. Verbesserungsvorschläge lägen zudem im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung, fügt er hinzu.

Extra IWann Prämien gezahlt werden: Die Vorschriften der "Cross Compliance" (zu deutsch: Überkreuz-Einhaltung von Verpflichtungen) stehen für die Verknüpfung von Prämienzahlungen mit der Einhaltung von Umweltstandards. Zuschüsse fließen also nur dann, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Im Bereich der europäischen Agrarpolitik wurden die Cross-Compliance-Bestimmungen 2003 dahingehend verschärft, dass neben Umweltstandards mittlerweile Aspekte der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit sowie des Tierschutzes eingehalten werden müssen, um Anspruch auf Prämien zu haben. Die Einhaltung dieser Richtlinien, zu der die Landwirte verpflichtet sind, wird von den zuständigen Behörden vor Ort kontrolliert. (uhe)Extra II Die 19 EU-Richtlinien: Nach den Richtlinien der Agrarpolitik in der Europäischen Union gelten für Landwirte in der Betriebsführung insgesamt 19 Richtlinien, die zu beachten sind und die den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt gewährleisten sollen: 1. Vogelschutzrichtlinie, 2. Grundwasserrichtlinie, 3. Klärschlammrichtlinie, 4. Nitratrichtlinie, 5. FFH-Richtlinie, 6. Kennzeichnungsrichtlinie, 7./8. Kennzeichnungs-, Registrierungs- und Etikettierungsverordnungen, 9. Schafkennzeichnungsrichtlinie, 10. Pflanzenschutz-Zulassungsrichtlinie, 11. Richtlinie zum Verbot von Hormonen in der Tierhaltung, 12. Verordnung zu Lebensmittelrecht und Lebensmittelsicherheit, 13. Verordnung zur TSE-Bekämpfung, 14. Richtlinie zur Bekämpfung von Maul- und Klauenseuche, 15. Richtlinie zur Bekämpfung von Tierseuchen, 16. Richtlinie zur Bekämpfung von Blauzungenkrankheit, 17. Kälberschutzrichtlinie, 18. Schweinehaltungsrichtlinie und 19. Richtlinie zum Schutz von Nutztieren. (uhe)

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