Justiz Prozess nach mutmaßlichem Überfall in Wittlich: Angeblich nur eine „Abreibung“ für zweideutige Sprachnachricht

Trier/Wittlich · Zwei Angeklagte gestehen im Prozess vor dem Trierer Landgericht den Gesamttatbestand. Das Raubmotiv jedoch weisen sie zurück.

Zwei Angeklagte gestehen im Prozess vor dem Trierer Landgericht.
Foto: dpa/Arne Dedert

Der Vorwurf gegen die beiden angeklagten Brüder L. (19) und S. (26) wiegt schwer: Am 4. Februar 2022 sollen sie in Wittlich einen 34-jährigen Bekannten in dessen Wohnung überfallen, mit einem Schlagring verletzt und um rund 220 Euro beraubt haben. Als der Verletzte, er ist wie die Brüder Pole, flüchten wollte, habe man die Wohnungstür versperrt, was den beiden noch den Anklagepunkt „Freiheitsberaubung“ einbringt. Hinzu kommt vorsätzliche Sachbeschädigung, weil sie den Fernseher des Überfallenen mit einem Tritt ins technische Jenseits befördert hatten. Beim Opfer musste im Wittlicher Krankenhaus eine große Kopfplatzwunde genäht werden (wir berichteten).

Weil L. zur Tatzeit altersmäßig noch Heranwachsender war, wird der Fall vor der Ersten Großen Jugendkammer unter dem Vorsitzenden Richter Günter Köhler verhandelt. Zunächst klärt Köhler die Angeklagten auf, dass sie ein Recht auf Schweigen hätten, aber ein frühes Geständnis „in so einem Fall Jahre bedeuten kann“. Eine ähnliche Einführung haben die beiden zuvor wohl schon von ihren Verteidigern Michael Angele (für L.) und Johannes Haufs-Brusberg (für S.) erhalten. Sie gestehen den Gesamttatbestand, vom Einschlagen der unteren Haustür, über den Schlag, das Abschließen der Wohnungstür, den Diebstahl des dort an der Klinke hängenden Lederetuis mit 220 Euro sowie den Tritt gegen den Fernseher. Bei bestimmten Details wird aber eingeschränkt: So soll der Schlagring, eine gesetzlich unerlaubte Waffe, nur zum Aufbrechen der Hauseingangstür verwendet worden sein. Und als Motiv für den Überfall weisen beide die Raubabsicht klar von sich: Man habe dem Mann nur eine „Abreibung“ erteilen wollen, weil er der damaligen Freundin von L. per Handy-Sprachnachricht eine eindeutig sexuelle „Einladung“ geschickt habe. Das an der Tür gefundene Geldetui sei halt so eine Art „Nebenprodukt“ gewesen, aber keinesfalls das Tatmotiv. Dies bestätigt die junge Frau als Zeugin. Sie habe aber über die Nachricht des entfernten Bekannten nur gelacht und die Brüder hätten das offenbar auch „locker gesehen“.

Ihre Lebensläufe breiten beide Angeklagte lückenlos aus. Nach der Trennung von ihrem drogensüchtigen Mann war ihre Mutter 2014 nach Wittlich übergesiedelt. Fatal für den damals erst elfjährigen Sohn L., der die Grundschule früh und ohne Deutschkenntnisse von Polen nach Wittlich wechseln musste. Das Ergebnis waren eine unstete Schullaufbahn, Drogen und Jugendstrafen. Aber er fasst Fuß in der Baubranche und macht in der Untersuchungshaft einen bautechnischen Grundlehrgang. Er will Fliesenleger werden.

Birgit Wagner, Jugendgerichtshilfe Wittlich, empfiehlt für ihn wegen seiner Entwicklungsdefizite eine Behandlung nach Jugendstrafrecht. Der ältere Bruder kam später, im Alter von 18 Jahren, nach, mit einer polnischen Schulausbildung, die hier etwa der mittleren Reife entspricht. Auch er haderte mit dem beruflichen Fortkommen, hatte wie der Jüngere Drogenerfahrung. Meist arbeitete er als Helfer beim Straßenbau, wie der jüngere Bruder, aber ohne Ausbildung. Kontakt mit der deutschen Justiz hatte auch schon.

Schließlich ruft Vorsitzender Köhler den damals Überfallenen als Hauptzeugen herein. Doch die große Konfrontation mit den Peinigern wird es nicht. Der Mittdreißiger bestätigt im Wesentlichen den Sachverhalt, aber nicht, ob er von dem Schlagring getroffen wurde – „ich habe aber irgendwas Hartes an den Kopf gekriegt, meine ich.“ Dann entschuldigt sich der ältere Angeklagte S. bei ihm. Der Geschädigte schlägt ein und sagt: „Ich will keine Rache. Man sollte die jetzt nicht zu hart bestrafen, sondern ihnen eine Chance geben.“ Nun schließt der Vorsitzende Richter die Beweisaufnahme. Staatsanwältin Stendel sieht in ihrem Schlusswort den schweren Raub und alle Nebentatbestände erfüllt und beantragt – Geständnisse hin oder her – für L. drei Jahre Jugendstrafe und für den älteren S. eine Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Die Verteidiger lenken den Fokus auf das Motiv – und das heiße in dem Fall, dass die Brüder dem Opfer eine „Abreibung“ hätten erteilen wollen, und das ohne eine vorher abgesprochene Raubabsicht. Verteidiger Angele beantragt für L. eine Jugendstrafe, die nicht im Bewährungsbereich liegen müsse, Verteidiger Haufs-Brusberg für seinen Mandanten S. eine Haftstrafe von nicht mehr als drei Jahren.

Das Urteil wird am 26. Juli, 11 Uhr, verkündet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort