Drei Bombenteppiche bringen den Tod

PLATTEN/DREIS. "Der 28. Januar 1945 war ein Sonntag." So beginnt Alfred Herges im Kreisjahrbuch 2005 seine persönliche Chronik eines schrecklichen Tages. Er überlebte von allen Plattenern Kommunionkindern des Jahrgangs 1936 als einziger den damaligen Bombenangriff auf die Kirche.

Am Sonntag, 30. Januar, 14 Uhr, gedenkt Platten in der Pfarrkirche sowie am Ehrenmal des Unglücks. Der Gedenkgottesdienst wird vom Pfarrer im Ruhestand, Erhard Berthel, als damals Betroffenem mitgestaltet. Anschließend ist eine Prozession zum Friedhof. Aus diesem Anlass erinnert sich ein Überlebender. "Das Datum ist für mich wie ein Loch", sagt Alfred Herges. An diesem Tag gingen drei Bombenteppiche auf Platten nieder. Eine Bombe zerstörte die Kirche, in der die Kommunionkinder zum Unterricht versammelt waren. Vor Alfred Herges liegen historische Zeitungsausschnitte mit vielen Namen. Heute könnte er mit seinen damaligen Spielkameraden 60. Kommunion feiern. Aber alle Kinder seines Jahrgangs, die 1945 zum Kommunionsunterricht in der Plattener Kirche waren, starben - wie auch der Pfarrer Johann Peter Schmitt - an den Folgen des Bombenangriffs. Alfred Herges, damals achteinhalb Jahre alt, wurde als einziger Überlebender schwer verletzt aus den Trümmern gerettet. Ein anderes Kind, Adelheid Becker, die wegen Krankheit beim Kirchenbesuch fehlte, hat ebenfalls überlebt. Insgesamt forderten die drei Bombenteppiche über Platten 85 Menschenleben, darunter 47 Kinder. Es gab viele schwer Verletzte. Heute lebt Alfred Herges in Dreis, der Liebe wegen. 1963 hat er seine Frau Margarethe, eine waschechte Dreiserin geheiratet. Er sitzt am Tisch ihres Elternhauses, stützt seine Stirn auf die rechte Hand und erinnert sich mit geschlossenen Augen an den Tag nach dem Unglück vor 60 Jahren, als er in St. Paul aus der Narkose erwachte. Seine Wengerohrer Patin saß an seinem Bett. "Sag' meiner Mutter nicht, dass ich den Arm weg habe", sagte er zu ihr. Alfred Herges erinnert sich noch, dass er den linken Arm schon nicht mehr spürte, als er von Soldaten aus der Kirche getragen wurde, wo er bis zur Brust in Trümmern verschüttet auf Rettung hoffte. Der Arm musste amputiert werden. Bis Juni 1945 war der Junge im Krankenhaus.Psychologische Hilfe damals kein Thema

Nach St. Paul kam er ins Bernkastel-Kueser Hotel Burg Landshut, danach in ein Haus hoch auf den Moselhöhen, wo heute die Jugendherberge steht. "Von dort habe ich auch das Kriegsende erlebt. Wir haben runter geguckt und gesehen, wie die deutsche Wehrmacht abflutet. Als meine Mutter mich nach der Entlassung im Juni abholen kam, haben die Amis uns im Jeep mit runter nach Bernkastel geholt. Dann nahm mich ein Plattener Bürger, Franz Ballmann, mit dem Fahrrad nach Hause mit. Das erste, was ich angeguckt habe, war die Kirche." Psychologische Hilfe, wie man sie heute kennt, war damals kein Thema. "Ich habe das Leben gemeistert. Es wurde keine Rücksicht genommen", sagt der Überlebende heute und ist stolz darauf. 1952 beginnt er seine Lehre als Einzel- und Großhandelskaufmann, arbeitet im Lebensmittelgroßhandel. Früh macht er den Führerschein, ist bei der Gründung des Plattener Musikvereins dabei, spielt Althorn, später auch in seiner neuen Heimat Dreis. Dort war er zudem im Karnevalsverein und beim VdK aktiv: "Ich habe meinen Humor behalten, und am Herrgott habe ich nie gezweifelt. Es gibt so viele Schicksale." Er weiß, dass in Platten eine Frau mit ihren fünf Kindern ums Leben kam. Ihr Mann, als Soldat in Russland, verlor seine ganze Familie. Einem anderen Vater starben durch die Bomben seine drei Söhne. Er habe nie mehr lachen können, erinnert sich Herges. Er selbst scheint mit seinem Schicksal im Reinen zu sein. Natürlich hätte er sich als Junge manchmal beobachtet gefühlt, als er noch keine Prothese trug, auch habe ihn geärgert, dass er im Sport nicht alles mitmachen konnte: "Aber ich habe das gar nicht als so schlimm empfunden. Das Erlebnis in der Kirche, das war wie ein Traum. Zu meiner Mutter hat mal jemand gesagt: ‚Sei zufrieden Maria. Er hat noch sein Gesichtchen.‘" Der Jahrestag ist für Alfred Herges immer noch nicht leicht zu verkraften, auch heute nach 60 Jahren: "Wenn der Tag da ist, um zehn vor drei", sagt er nur, dann stockt seine Stimme, und er schweigt. In seinen Erinnerungen im Kreisjahrbuch spricht Herges über seine vier Enkel. Wenn er von früher erzählt, fragen sie ihren Opa nach dem "Warum". Alfred Herges schreibt: "Beantworten kann ich ihnen die Frage nicht. Ich wünsche ihnen und allen Menschen, dass sie einmal in einer Welt ohne Krieg und Terror leben können."

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