Geschichte Ein wohlgehüteter Familienschatz

Traben-Trarbach · Kriemhild Gendebien bewahrt das Tagebuch ihres Vaters aus dem Ersten Weltkrieg

 Kriemhild Gendebien.

Kriemhild Gendebien.

Foto: TV/Winfried Simon

Vorsichtig, mit einem gewissen Respekt, öffnet Kriemhild Gendebien ein Buch, das sie wie einen Schatz hütet. Über 200 Seiten sind feinsäuberlich in Sütterlin-Schrift vollgeschrieben. „Schauen Sie, wie gut es erhalten ist, wie sauber geschrieben, kein einziger Fettfleck ist zu sehen“, sagt die 90-Jährige Traben-Trarbacherin. Der Autor ist unbekannt. Es ist ein Tagebuch, verfasst vom 15. Februar 1915 bis 17. Dezember 1917. Auf der ersten Seite steht: „Kriegstagebuch der 3. Komp.,I. Ers-Batl./L.J.R.46, jetzt 7.Komp. II. Batl. Inf.-Regt. 345.“

Verfasst hat es offensichtlich ein militärischer Untergebener ihres Vaters Dr. Carl Castendyck. Im ersten Weltkrieg diente er als Offizier, war zunächst Oberleutnant, später dann Hauptmann. Er führte die beiden im Tagebuch genannten Kompanien, die im Ersten Weltkrieg ausschließlich in Rußland im Einsatz waren.

Kriemhild Gendebien spricht gern und viel über ihren Vater — ein hochangesehener Mann der zu den Honoratioren der Stadt Traben-Trarbach gehörte. Er führte ein großes Weingut und war Weinchemiker. „Er war ein Herr und hatte ein gewisses Standesbewusstsein — eine wahre Respektsperson“, erinnert sich Kriemhild Gendebien. Als jüngste von drei Geschwistern und einziges Mädchen genoss sie bei ihrem Vater besonderes Wohlwollen. „Er hat mich schon sehr verwöhnt“, schmunzelt sie. Immerhin war ihr im Jahr 1875 geborener Vater bereits 53 Jahre alt, als sie auf die Welt kam. Bruder Gernot fiel 1941 im Zweiten Wekltkieg, Bruder Giselher starb 1986. Der Name Castendyck ist in Traben-Trarbach noch stets präsent, obwohl heute kein Castendyck mehr in der Doppelstadt lebt.

Nach dem Tod ihres Mannes Werner Gendebien 1982 — ein Vorfahre war übrigens der Politiker Alexandre Gendebien, der während der belgischen Revolution 1830 eine bedeutende Rolle spielte — nahm Kriemhild Gendebien das von ihrer Mutter sorgsam aufbewahrte Tagebuch erstmals in die Hand. In diesen Tagen hat sie erneut darin geblättert. „Kriegsgeschichten haben mich nie interessiert, aber das Tagebuch ist eine wertvolle Erinnerung an meinen Vater und an eine Zeit, die hoffentlich nicht wiederkommt“, sagt sie.

Der erste Eintrag vom 5. Februar 1915 lautet: „Die Kompanie erhielt am 4. Februar nachmittags den Befehl sich für den Abmarsch ins Feld in der folgenden Nacht bereitzuhalten. Es folgen Einträge über Kampfhandlungen, über gefallene Kameraden, Beerdigungen, von verschlammten Wegen, die ein Vorwärtskommen der Truppe fast unmöglich machen. Am 26. Mai 1917 heißt es zum Beispiel: „In der Nacht beschießt der Gegner den Abschnitt des zweiten Zuges mir vier Schuss leichten Kalibers ohne irgendwelchen Schaden anzurichnen.“ Wenige Tage später berichtet der Schreiber, dass Leutnant Bura unter militärischen Ehren beigesetzt wurde. Ein Kinobesuch wird erwähnt, ebenso die Abkommandierung von Rekruten zur Teilnahme an einem Heeresgaskurses in Berlin oder eine Typhusschutzimpfung.

Mit dem Eintrag am 17. Dezember 1917 endet das Tagebuch. Darin heißt es: „Die Kriegsnachrichten vom 16. Dezember melden, dass mit den Russen am 17. Dezember, 12 Uhr mittags, ein vierwöchiger Waffenstillstand abgeschlossen wurde.“

Vater Carl musste auch als Soldat einrücken, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Sie erinnert sich: „Am 26. August, also bereits wenige Tage vor Kriegsbeginn, kam ein Anruf aus Koblenz, dass er sich sofort melden müsse. Er war damals 64 Jahre alt und wurde — erneut — nach Polen abkommandiert.“

Kriemhild Gendebien wohnt noch in dem von ihrem Großvater Moritz Castendyck erbauten großen Gutshaus in der Trarbacher Grabenstraße. Das Innere gleicht einem kleinen Museum, antike Möbel, Bilder, Bücher und Dokumente füllen die Räume. Das Weingut besteht seit Mitte der 1970er Jahre nicht mehr. Ihre drei Kinder leben nicht mehr an der Mosel, das Kriegstagebuch wird sie wohl ihrem Enkel Julian übergeben, der sich sehr für die Familiengeschichte interessiert.

Kriemhild Gendebien ist eine feine, rüstige Dame, hellwach und agil. Im vergangenen Jahr fuhr sie noch alleine mit ihrem Auto nach Schweden.

Im kommenden Jahr kann sie ein ganz besonderes Jubiläum feiern. Dann ist sie 85 Jahre Mitglied im VfL Traben-Trarbach. Handball, Gymnastik, Leichtathletik, Tischtennis, Frauenturnen: In zahlreichen Abteilungen des Vereins war sie aktiv. Vom 40. bis zum 68. Lebensjahr hat sie 28mal das goldene Sportabzeichen errungen.

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