Soziales Ein Jahr wie ein bunt gewebter Stoff

Enkirch · Die 20-jährige Klara Lenz aus Enkirch hat im Süden Indiens ein Jahr lang Freiwilligendienst geleistet. Dabei ist ihr einiges klar geworden.

 Klara Lenz aus Enkirch war mit SoFiA ein Jahr lang in Indien.

Klara Lenz aus Enkirch war mit SoFiA ein Jahr lang in Indien.

Foto: TV/Bistum Trier

„Ich hatte im vergangenen Jahr nicht nur eine, sondern gleich 13 Mamas, die mich bemuttern konnten“, lacht Klara Lenz. „Zumindest haben sie das meiner Mutter bei ihrem Besuch in Indien versichert.“ Die 20-Jährige aus Enkirch hat sich ein Jahr lang als Freiwillige im Süden Indiens in einem Frauenprojekt engagiert und ist nun wieder zurück in Deutschland. Begleitet wurde sie während ihres Jahres von den Sozialen Friedensdiensten im Ausland „SoFiA“ im Bistum Trier. Im Gepäck hat sie eine Menge Erinnerungen, eine neue Sicht auf vieles „typisch Deutsche“, und die gewonnene Sicherheit, auch schwierige Situationen alleine meistern zu können, erzählt sie.

Klara arbeitete im Bundesstaat Tamil Nadu, der allein so viele Einwohner wie Deutschland hat, in einer Sozialstation für Frauen und ihre Kinder. „Depam – ein Licht für Indien“ wurde vor einigen Jahren von einer Deutschen aufgebaut und gibt Frauen Arbeitsstellen als Näherinnen – unter fairen Bedingungen. „Wir hatten 13 fest angestellte Näherinnen, die auch ihre Kinder mitbringen durften. Die Frauen fertigen Taschen, Tischtücher, Schürzen und viele andere Dinge, die dann in Deutschland verkauft werden, zum Beispiel auf Weihnachtsmärkten“, beschreibt Klara ihre Einsatzstelle. In einem Raum mit Regalen voller farbenfroher Stoffe überlegte sich Klara Designs, fertigte Schablonen und Stoffmuster, beriet die Frauen, ob Muster und Ideen deutschen Käufern gefallen könnten und durfte auch Stoffe einkaufen. Außerdem kümmerte sie sich um die Kinder der Näherinnen.

„Es geht dort anders als in Nähfabriken sehr entspannt zu. Die Station ist nicht nur Arbeitsort, sondern auch Anlaufstelle für die Frauen, wenn sie familiäre Probleme haben. Wenn Konflikte auftreten, kommt es dort auch öfter zu Gewalt der Ehemänner gegen die Frauen – dann haben die auch mal für ein paar Tage bei uns gewohnt. Medizinische Hilfe gibt es auch, da meine Chefin Krankenschwester ist“, berichtet Klara. Die Organisation greife den Näherinnen auch finanziell unter die Arme – beispielsweise zahlt sie die Schulgebühren der Kinder, die in Indien sehr hoch sind, oder unterstützt die Frauen durch Kredite.

Mit den Frauen verständigte sich Klara auf Englisch, Tamil und auch mal per Zeichensprache. „Mit der Zeit sind richtig gute Beziehungen zu den Frauen und Kindern entstanden, ich war auch auf mehreren großen Hochzeiten eingeladen.“ Klara wohnte in der Sozialstation, genau wie fünf andere junge Frauen, die das College besuchen und studieren. „Leider ist es ein bisschen anders als in Deutschland, dass man abends in einer Kleinstadt nicht mit jungen Leuten zusammen weggeht. Das habe ich ein bisschen vermisst“, sagt Klara.

Auch andere kulturelle Unterschiede lernte Klara mit der Zeit kennen: In Indien gebe es wenig Vereine, die Kinder und Jugendlichen hätten wenige Hobbies: „Sie haben lange Schule, machen dann Hausaufgaben, spielen vielleicht noch ein wenig und gehen schon wieder schlafen.“ Auch das Lebensgefühl sei ein anderes: „In Indien geht es viel entspannter zu, man muss auf fast alles warten. Hier kann es eben sein, dass in einem Laden der Besitzer vier Leute gleichzeitig und keinen so richtig bedient. Meiner Familie fiel bei ihrem Besuch sofort auf, wie ineffektiv das war. Ich war zu dem Zeitpunkt schon recht angepasst und fand das okay“, schmunzelt sie. „In Deutschland sind wir sehr auf Effizienz, auf das Einhalten von Regeln gepolt. In Indien habe ich Geduld und Durchhaltevermögen gelernt.“ Was sie nervte, war der Müll auf den Straßen. „Eigentlich wirkt alles sehr harmonisch, die bunten Häuser, die Kühe laufen über die Straßen, die Kabel hängen kreuz und quer, alles wirkt improvisiert und funktioniert trotzdem, aber dann der stinkende Müll vor der eigenen Haustüre – dafür hatte ich nicht so viel Verständnis.“

Eine der prägendsten Erfahrungen für Klara war ihre Erkrankung an Dengue-Fieber. Als sie mit anderen Freiwilligen zu ihrem Zwischenseminar in Nordindien aufbrechen wollte, bekam sie die Virus-Krankheit und musste für ein paar Tage ins Krankenhaus. „In dieser Zeit haben sich die Verantwortlichen von SoFiA super gekümmert, haben jeden Tag angerufen und auch die anderen Freiwilligen wichen nicht von meiner Seite, aber man muss auch erst einmal alleine damit klarkommen.“ Auch hier seien ihr wieder die Mentalitäts-Unterschiede deutlich geworden: „In Indien ist es nicht üblich, dass Ärzte viel erklären. Wir Deutschen wollen genau wissen, was passiert, warum wir dieses oder jenes Medikament bekommen. In Indien hinterfragt man das nicht so. Ich habe die Ärzte, glaube ich, ganz schön genervt mit meinen Fragen.“

Vor ihrem Aufenthalt fragten viele Leute Klara, warum sie ausgerechnet nach Indien gehe, da das Land wegen sexueller Übergriffe so häufig in den Schlagzeilen war. „Ich habe selbst so etwas überhaupt nicht erlebt und auch nicht gesehen, obwohl wenn das Problem natürlich existiert. Da aber im Ausland nur von so etwas berichtet wird, kommt da ein sehr einseitiges Bild rüber, das Indien nicht gerecht wird.“

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