KZ-Häftling-Nr. 141517 überlebte das Grauen

TRABEN-TRARBACH/BERNKASTEL-KUES. Heute vor 61 Jahren wurde das KZ Auschwitz befreit. Nur wenige haben das Grauen der "Todesfabrik" überlebt. Einer von ihnen ist Martin Schmitz. Der 84-Jährige lebt heute mit seiner Frau in Bernkastel-Kues. Seine Kindheit und Jugend hat er in Traben-Trarbach verbracht.

Dass Martin Schmitz heute noch lebt, gleicht einem Wunder. Im Januar 1945, als die Engländer das KZ Bergen-Belsen befreiten, lag er völlig abgemagert, keine 30 Kilo mehr schwer und dem Tode nahe, zwischen Dutzenden von Leichen. Seine Eltern, Onkel und Tanten, alles Juden wie er, waren tot, sie wurden in Auschwitz oder anderen "Todesfabriken" ermordet. Martin Schmitz lebt seit 1951 mit seiner Frau Carola in Bernkastel-Kues. Drei Kinder wurden ihnen geschenkt, vor wenigen Wochen feierten sie im Hotel Bellevue in Traben-Trarbach Diamantene Hochzeit. Traben-Trarbach: Hier wurde Martin Schmitz geboren, hier hat er seine Kindheit erlebt - eine schöne Kindheit. Sein Vater Bernhard und dessen Brüder Max und Emil betrieben in der Moselstraße 29 in Trarbach ein Textil- und Manufakturwarengeschäft. Der Vater, ein stolzer Mann, wurde im Ersten Weltkrieg verwundet und war ein angesehener Bürger der Stadt. Er gründete unter anderem den Fußballclub Trarbach. Der einzige Sohn Martin erlebte eine unbeschwerte Kindheit: "Mit meinen Schulkameraden habe ich alle Frechheiten, die man so anstellt, mitgemacht. Wir sind durch die Gassen gerannt und haben an der Mosel Fußball gespielt." Es hätte alles so gut sein können. Doch dann kamen die Nazis. Das Unheil kündigte sich schon vor deren Machtergreifung an. "In der Volksschule habe ich erstmals gemerkt, dass ich anders war", erzählt Martin Schmitz. Er nahm am evangelischen Religionsunterricht teil, wurde aber vom Lehrer gepiesackt, weil er auf manche Fragen keine Antwort wusste. Später, auf dem Gymnasium, inzwischen hatten sich die Nazis auch in der Stadt breit gemacht, bekam der Junge erstmals den Judenhass zu spüren. Ein neuer Lehrer namens Pfeifer, der in SA-Uniform und gewichsten Stiefeln vor die Klasse trat, knöpfte sich jeden Morgen den Schüler vor, beschimpfte ihn als "Drecksjude" und verprügelte ihn. Einige Schulkameraden setzten sich von ihm ab, weil deren Eltern es so wollten. Als Martin eines Tages mit blutverschmiertem Gesicht nach Hause kam, nahm ihn sein Vater von der Schule. Während Onkel Max und Tante Leni Mitte der 30er-Jahre über eine Flucht nachdachten und später nach Königshütte (Polen) gingen, blieben Bernhard und Selma Schmitz in Trarbach. "Mein Vater wollte nie weg. Er sagte immer, ,ich bin Deutscher', und der Hitler wird auch bald wieder verschwinden", erinnert sich Martin Schmitz. Flucht aus Traben-Trarbach nach Köln

Bald sollte eine Odyssee beginnen - ein Schicksal, wie es Tausenden anderer Juden in dieser Zeit widerfuhr. Für einige Glückliche endete sie in Freiheit im Ausland, für die meisten aber in der Gaskammer. Martin Schmitz wurde zu seinem Onkel nach Prag geschickt, später nach Aurich, wo er eine kaufmännische Lehre begann. Seine Eltern mussten 1937 ihr Geschäft in Traben-Trarbach aufgeben und gingen nach Köln. Sohn Martin folgte später dorthin und leitete mit seinem Vater die Textilfirma eines holländischen Juden. Am 9. November 1938 brannten überall in Deutschland, auch in Köln, die Synagogen - das Textilgeschäft wurde von Nazihorden verwüstet. Martin Schmitz und sein Vater mussten dann bei der Bahn Gleise verlegen - bis 1941. An einem Septembertag musste die Familie, wie Tausende anderer Juden, einen Zug Richtung Osten besteigen. Drei Tage dauerte die Fahrt, sie endete in Auschwitz. SS-Schergen trieben die Männer, Frauen und Kinder aus den Waggons. An der Rampe standen Uniformierte und ein Mann mit weißem Kittel - "Lagerarzt" Josef Mengele. Er schickte die völlig verängstigen Menschen mit einer Daumenbewegung auf die rechte oder linke Seite. Nach links die Eltern, nach rechts den Sohn - links hieß Tod, rechts hieß (noch) leben. In diesen Minuten sah Martin Schmitz seinen Vater und seine Mutter zum letzten Mal, sie wurden mit Schlagstöcken auf einen LKW getrieben und weggefahren - in die Gaskammer, wie er später erfuhr. Martin Schmitz erlebte Grauenhaftes im Lager. Er sah, wie Menschen zusammengeschlagen, vor den anderen gehenkt wurden oder einfach verschwanden. Er überlebte, weil er stark war und als Schlosser in verschiedenen Arbeitsaußenlagern von Auschwitz "gut zu gebrauchen" war. Auch er wurde mehrmals zusammengeschlagen, doch er vermied es zu jammern. Wer jammerte, wurde erst recht verprügelt, manchmal bis zum Tod. Später kam er in das Lager Dora im Harz, dann nach Bergen-Belsen. Martin Schmitz verlor nicht nur seine Eltern, auch Tante Leni und Onkel Max wurden umgebracht. Wo und wann, das konnte bis heute nicht geklärt werden. Trotz der grauenhaften Erlebnisse ist Schmitz seiner deutschen Heimat treu geblieben. 1945 kam er wieder nach Traben-Trarbach, heiratete noch im selben Jahr seine Carola und begann bei der Stadtverwaltung eine Verwaltungslehre. Er ging zur Kreisverwaltung Bernkastel-Kues und brachte es zum Oberamtsrat. Seit einigen Jahren erzählt er über seine Geschichte und seine Erlebnisse während des Holocaust. Er ist regelmäßig in Schulen in Idar-Oberstein und Birkenfeld zu Gast.

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