Patienten nehmen zu oft Antibiotika

Trier · Ärzte verschreiben zu leichtfertig Antibiotika, sagen Kritiker. Gegen viele Krankheiten seien die Medikamente wirkungslos. Trotzdem wurden 2008 in Rheinland-Pfalz 1,7 Millionen Rezepte dafür ausgestellt.

(wie) Die Nase läuft, der Hals kratzt, starker Husten quält: Winterzeit ist Erkältungszeit. Um schnell wieder fit zu werden, greifen viele zu starken Medikamenten – unter anderem auch Antibiotika, obwohl diese nur gegen bakterielle Infektionen helfen. Bei Husten, Schnupfen oder Heiserkeit handelt sich oft jedoch um Virus-Infektionen – Antibiotika sind dagegen wirkungslos. Werden sie in solchen Fällen doch verabreicht, kann der Körper resistent gegen Antibiotika werden. Das heißt, er reagiert irgendwann nicht mehr auf diese Substanz. Das hat sich vor über einem Jahr in Trier gezeigt, als neun Krankenhaus-Patienten an dem gefährlichen Darm-Keim Clostridium Difficile gestorben sind. Vermutlich weil die Darmflora der Betroffenen durch Antibiotikum zerstört war, konnte sich der Keim ungehindert im Körper ausbreiten. Experten glauben, dass zwischen 30 und 50 Prozent aller Antibiotika falsch eingesetzt werden. Laut der Techniker Krankenkasse (TK) erhält fast jeder Dritte, der wegen einer Erkältung ein paar Tage krankgeschrieben ist, Antibiotika verschrieben. Allein in Rheinland-Pfalz gaben die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr rund 45 Millionen Euro für Antiobiotika-Präparate aus. Von Januar bis Oktober seien 1,7 Millionen Rezepte für diese Medikamente ausgestellt worden, sagt Cornelia Benzing, Sprecherin der TK in Mainz. „Im Schnitt haben fast 44000 Rheinland-Pfälzer täglich Antibiotika eingenommen“, sagt Benzing.

Auch beim Landesuntersuchungsamt (Lua) beobachtet man das mit Sorge: „Die echte Grippe, also Influenza, und andere akute Atemwegserkrankungen werden durch Viren verursacht – und gegen die sind Antibiotika wirkungslos“, sagt Lua-Sprecher Achim Ginkel. Er warnt vor allem davor, die Mittel ohne ärztlichen Rat einzunehmen: „Finger weg von angebrochenen Antibiotika-Packungen aus der Hausapotheke.“ Denn Antibiotika sind nicht ohne Nebenwirkungen wie etwa Durchfall, Übelkeit, Hautausschläge oder auch Leberschäden.
Kein Arzt verschreibe leichtfertig Antibiotika, sagt der Trierer Hausarzt Michael Siegert, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz. Gleichwohl würden die Medikamente oft ohne den nötigen Nachweis einer tatsächlichen bakteriellen Infektion verordnet. Das Ergebnis eines solchen Tests liegt oft erst drei, vier Tage später vor. Der Mediziner schließt nicht aus, dass heute tatsächlich mehr Antibiotika verschrieben werden, als noch vor Jahren: „Heute kann sich kein Arbeitnehmer mehr erlauben länger krank zu sein. Alle wollen so schnell wie möglich wieder fit sein.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort