Kind auf Toilette geboren und ausgesetzt

Heute freut sich Nina G. über ihr Kind, das sie laut Staatsanwaltschaft ausgesetzt hat. Doch das Euskirchener Gericht steht nun vor der Frage: War die 20-Jährige schuldfähig?

Euskirchen. Max lacht glücklich. "Er ist ein fröhlicher Junge", sagt sein Opa stolz. Von dem, was seine Mutter da vorne erzählt, bekommt das sechs Monate alte Baby nichts mit. Die Erwachsenen in Raum 128 des Amtsgerichts hören zwar ihre Worte. Nachvollziehen können sie das Ganze dennoch nicht. Es ist Nina G. (alle Namen geändert), 20 Jahre alt, gute Berufsausbildung und Mutter des kleinen Max. Sie spricht mit Tränen in den Augen. Nina G., da ist sich die Staatsanwältin sicher, wollte ihr Kind kurz nach dessen Geburt aussetzen. Dass Max heute lebt, hat er wohl einer Kollegin seiner Mutter zu verdanken, die das Kind auf der Toilette in der Firma fand.Die Vorgeschichte: Als Nina G. merkt, dass sie schwanger ist, hatten sich sie und der Vater des Kindes längst getrennt. "Ich habe die Schwangerschaft verdrängt", erzählt sie dem Gericht. Warum, könne sie sich selber nicht erklären. Sie konsultiert keinen Arzt. Weder Freunde noch Kollegen, ja nicht mal den Erzeuger des Kindes und ihre Eltern informiert die 20-Jährige. "Ich hatte keinen Nach-Vorne-Geh-Bauch", erklärt sie den Umstand, der ihr das möglich machte. Stattdessen lebt sie jeden Tag so, als wenn nichts wäre: Arbeit, Essen, mit dem Hund Gassi gehen und so weiter. Bis zu jenem Sommertag des vergangenen Jahres.Auf der Arbeitsstelle merkt Nina G., dass es "soweit" ist. Die Wehen nehmen zu, sie lässt sich aber nichts anmerken. "Ich habe noch zur Uhr gesehen, es war 13.01 Uhr", erzählt sie. Von da an wisse sie nichts mehr. Wie ihre Kollegin berichtet, sei Nina G. einige Zeit später von der Toilette gekommen: blass und schwitzend, "dann ist sie kollabiert." Nina G. habe dies mit Kreislaufproblemen und Regelblutungen begründet. Wenig später sei sie dann wiederholt zusammengebrochen. Trotzdem geht die Kollegin zur Toilette: "Da sah ich Bewegung unter einer Decke." Sie habe das Kind genommen, es der Mutter gezeigt, doch diese habe nur gesagt: "Tu es weg, das darf keiner wissen."Dann nimmt alles seinen Lauf: Per Rettungswagen werden Mutter und Kind ins Krankenhaus gefahren. Nervenärztliche Behandlung, Gespräche mit einer Hebamme und dann schließlich der Moment, als sie das Kind erstmals seit der Geburt in den Armen hält, hätten ihre Haltung zu diesem kleinen Wesen radikal geändert: "Von da an wollte ich das Baby haben." Doch wie ist die Tat - der Gesetzgeber spricht von Kindesaussetzung - nun juristisch zu beurteilen. Sie habe das Kind in "Todesgefahr" gebracht, so die Staatsanwältin. Andererseits: War sich Nina G. dessen bewusst, was sie da tat? "Sie war zumindest hart an der Grenze zur Schuldunfähigkeit", findet ihre Anwältin. Auch der Vertreter der Jugendgerichtshilfe sieht die Schuld der Angeklagten nur in "einem bescheidenen Maße" gegeben. Sie habe in einer Stresssituation völlig falsch reagiert. Er plädiere für eine Verwarnung und die Fortführung sozialpädagogischer und nervenärztlicher Betreuung, in die sich Nina G. nach eigener Aussage freiwillig begeben habe. Dennoch hält die Staatsanwaltschaft eine Bestrafung - dann wohl zur Bewährung - möglicherweise für erforderlich. Auch der Richter machte seine Bedenken deutlich. Schließlich habe die Angeklagte offenbar versucht, ihr Kind in der Decke zu verstecken, und dann noch die Kollegin aufgefordert, es verschwinden zu lassen. Kann man so zielbewusst handeln, wenn man schuldunfähig ist? Fragen, die nun auf Antrag der Verteidigerin ein Gutachter klären soll. Der Prozess wird fortgesetzt.

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