Neue Heimat für alte Spardosen

Schönecken · Nicht mehr zeitgemäß, peinlich, diskriminierend - mit diesen Begriffen ist zu erklären, warum der sogenannte "Nickneger" in den 1960er Jahren zwischenzeitlich aus den Kirchen verschwand. Lothar Graff aus Schönecken hat im Laufe der Jahre mehr als 130 Exemplare gesammelt. Im Gespräch mit dem TV erzählt er von der Geschichte der verschmähten Sammeldosen.

 Spardosen sammeln ist seine Leidenschaft: Lothar Graff zieht für sein Hobby von Trödelmarkt zu Trödelmarkt. TV-Foto: Wilma Werle

Spardosen sammeln ist seine Leidenschaft: Lothar Graff zieht für sein Hobby von Trödelmarkt zu Trödelmarkt. TV-Foto: Wilma Werle

Schönecken. Ausgenickt haben sie. Und das schon lange. Nur die über 50-Jährigen können sich wohl noch erinnern an die kleinen Figuren, die regelmäßig zur Weihnachtszeit an die Krippen gestellt wurden, um Spenden zu sammeln.
Wer einen Groschen hineinwarf, wurde mit einem Nicken belohnt. Unter dem Einwurfschlitz verbarg sich ein Metallplättchen, das mit dem locker eingehängten Kopf der Figur verbunden war und dadurch beim Geldeinwurf ins Schwingen geriet - eben nickte. Und da die Figuren zumeist farbige Kinder aus Afrika darstellten, war der Name schnell entstanden: "Nickneger".
Daneben gab es aber auch nickende Chinesen, Indianer, Mexikaner, Inder oder auch Engel. Sie waren aus Holz, Gips oder einer Art Pappmaché gefertigt und hatten nur eine Aufgabe: Geld zu sammeln für die Mission. Davon zeugt die Aufschrift: "Willst du den Heiden Hilfe schicken, so lass mich Armen freundlich nicken".
Lothar Graff (74), Präsident der Interessengemeinschaft europäischer Spardosensammler, erzählt: "Über 70 Jahre standen die Sammeldosen in Geschäften und hauptsächlich Kirchen. Ihren Ursprung haben sie um die Zeit 1850 in der Rhön, als Wackelfiguren auf Opferstöcken die Leute zum Spenden animieren sollten." Spenden für die Mission waren erst um die Jahrhundertwende das Ziel.

Doch das Missionsverständnis hat sich im Lauf der Jahre verändert. Die Kirche erkannte, dass Sätze wie "Öffne, Christenkind, die Hand. Bringe deine kleinen Gaben. Sorg, dass wir im Heimatland Lebensbrot in Fülle haben", nicht mehr dem sich wandelnden Menschenbild entsprachen, auch nicht dem christlichen. Das Überlegenheitsbewusstsein der Europäer galt als peinlich, nicht mehr zeitgemäß und diskriminierend.
Ganz besondere Zeitzeugen


"Anfang der 1960er Jahre gab es ein Rundschreiben der Bistümer, die "Nickneger" aus der Öffentlichkeit zu entfernen", erzählt Lothar Graff. So landeten sie in Kisten und Kartons auf Speichern von Pfarrhäusern und Kirchen, viele wohl auch auf dem Müll. Und einige im Laufe der Jahre bei Graff in Schönecken. Bei ihm führen sie nicht länger ein Schattendasein, sondern werden liebevoll restauriert - zum Teil mit filigranem Zahntechnikerwerkzeug.
130 Exemplare stehen in Vitrinen und Regalen. "Das sind Zeitzeugen aus einer bestimmten Epoche. Die müssen gepflegt und bewahrt werden." Eines seiner Lieblingsobjekte ist ein Kind auf einem Elefanten. Wird Geld eingeworfen, wackelt nicht der Junge mit seinem Kopf, sondern der Elefant mit seinem Rüssel. Auf seine jüngste Errungenschaft ist er besonders stolz: eine Kunststoffdose mit einem farbigen Jungen und der Aufschrift "Vergelts Gott".
Sie stammt aus dem Kloster Springiersbach in der Nähe von Wittlich. Fünf Jahre lang hat er nach diesem Exemplar gesucht und vorigen Sonntag auf dem Prümer Trödelmarkt gegen eine andere Spendendose eintauschen können. Was macht das Sammeln für Lothar Graff so reizvoll? "Auch wenn die Motive oft ähnlich sind oder sich nur in der Größe unterscheiden, das Besondere ist, wenn unter der Spendenbox noch der Original-Aufkleber drauf ist", sagt er. "Da kann man dann sehen, welche Missionsgesellschaft hinter der Sammelaktion steckte." Gesammelt wurde in Geschäften, Amtsstuben und Kirchen. Aber es gab wohl auch Sammeldosen für Privatpersonen, ist sich Graff sicher. Ein Aufkleber mit dem Titel "Meine Opfertage" fordert auf, die Spendendose an persönlichen Gedenktagen und Hochzeitstagen zu füllen. "Mit dem Geld wurde sicher viel Gutes getan. Aber man darf auch nicht vergessen, dass durch die damals üblichen Zwangsmissionierungen ganze Kulturen zerstört wurden", erinnert er.
Und wenn er heute Küster wäre? Würde er den "Nickneger" an die Krippe stellen? "Ich hätte kein Problem damit", antwortet Graff . "Obwohl ich mir bewusst bin, dass ich da Gegenwind bekäme. Aber es war über 70 Jahre lang die erfolgreichste Spendendose überhaupt."
Extra

Lothar Graff ist Präsident der Interessengemeinschaft europäischer Spardosensammler. Über 2000 Exemplare aus der Römerzeit bis 1940 hat er in 35 Sammlerjahren bislang zusammengetragen. Eine Ausstellung mit einem Teil seiner Objekte wird am Montag, 8. Dezember, in der Kreissparkasse in Bitburg eröffnet. Seine Sammlung von Missionssammelbehältern möchte er gerne erweitern. Wer noch Exemplare - gegen Spende - zur Verfügung stellen will, kann Kontakt aufnehmen unter Telefon 06553/960600 oder im Internet über <%LINK auto="true" href="http://www.lothargraff.com" class="more" text="www.lothargraff.com"%> wiw

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