Schicksal nach 65 Jahren geklärt

65 Jahre lag der Soldat Fritz Schulz auf dem Soldatenfriedhof in Auw bei Prüm. Doch seine Familie wusste nichts von seinem Schicksal; er galt als vermisst. Erst vor wenigen Wochen erfuhren seine Angehörigen von dem Grab.

 Fritz Schulz liegt in Auw begraben. TV-Foto: Christian Brunker

Fritz Schulz liegt in Auw begraben. TV-Foto: Christian Brunker

Auw/Prüm. Silvester 1944: An der deutsch-belgischen Grenze gibt es seit Tagen erbitterte Kämpfe. Ein Aufgebot der deutschen Wehrmacht versucht in der Westeifel eine letzte Offensive. Zu den deutschen Soldaten gehört der 19-jährige Gefreite Fritz Schulz. Er fällt an diesem Silvestertag bei Verschneid. Für seine Familie galt er lange als verschollen.

Die einzige Information seiner Großnichte Diana Weiss ist, dass der am 10. Dezember 1925 in Wrechow (Provinz Brandenburg, im heutigen Polen) geborene Schulz "etwa 1945 zur Marine eingezogen wurde". In der Familie kursiert die Geschichte, dass er nach dem Krieg in die USA ausgewandert sei.

Bei der Recherche im Internet stößt Weiss auf das Vermisstenforum des VKSVG, des Vereins zur Klärung von Schicksalen Vermisster und Gefallener. Noch am gleichen Tag im Januar 2010 erhält sie den Hinweis auf ein Grab auf dem Soldatenfriedhof in Auw bei Prüm. Name und Geburtsdatum sind identisch mit den Daten des Gesuchten. Vier Wochen später ist es sicher: Bei dem Gefallenen auf dem Soldatenfriedhof in Auw handelt es sich um den Großonkel von Diana Weiss. Doch wie kam ein Marinesoldat in die Ardennen, und warum galt er 65 Jahre als vermisst?

Weitere Recherchen von Weiss und des VKSVG bringen Aufklärung. Schulz wird am 25. August 1943 zur deutschen Kriegsmarine eingezogen. Bei der vierten Kompanie der sechsten Schiffsstammabteilung absolviert er in den ersten drei Monaten im niederländischen Steenwijk seine Grundausbildung.

Danach geht es zur zweiten leichten Flakausbildungsabteilung auf die ostfriesische Insel Langeoog. Bald darauf wird er von Hörnum/Sylt nach Wilhelmshaven zur zweiten Marineersatzabteilung versetzt. Angesichts der immer größeren Verluste des Heeres wird im Deutschen Reich ein letztes Aufgebot zusammengestellt. Darunter sind Soldaten, die im rückwärtigen Gebiet nicht mehr benötigt werden, auch zahlreiche Soldaten der Kriegsmarine.

Was folgt, ist die sogenannte "Dönitz-Spende": Benannt nach Großadmiral Dönitz wird jeder Angehörige der Kriegsmarine, der nicht dringend gebraucht wird, als Infanterie eingesetzt. Irgendwann zwischen August und Oktober 1944 wird der Matrose zum Grenadier-Regiment 294 der 18. Volks-Grenadier-Division (VGD) versetzt. Für den Brandenburger geht es nun an die näher kommende Westfront. Hier kämpft er ab dem 16. Dezember 1944 in der Ardennenoffensive vor allem um die belgische Stadt St. Vith. Am 22. Dezember wird sie eingenommen. Doch die Kämpfe dauern an.

Was sich am Silvestertag 1944 genau abspielt, ist nicht überliefert. Bekannt ist nur, dass Schulz an diesem Tag bei Verschneid tödlich verwundet wird. Die Soldaten dürften ihren Kameraden noch nach Auw gebracht haben, wo man ihn zusammen mit anderen Gefallenen auf dem Soldatenfriedhof beigesetzt hat.

Die militärische Situation hatte es noch zugelassen, dass eine Verlustmeldung an die zuständige Dienststelle herausging. Doch oft passierte es, dass die Meldung infolge der Kämpfe verloren ging.

Auf Nachfrage beim VKSVG, wie es möglich ist, dass ein Soldat 65 Jahre als vermisst gilt, stößt man nicht auf Verwunderung. "Öfter als man glaubt, haben wir Fälle, bei denen die gesuchte Person schon viele Jahre auf einem Soldatenfriedhof ruht oder wo bekannt ist, dass der Verschollene in Kriegsgefangenschaft verstorben ist. Allein die deutsche Kriegsgräberfürsorge hat mehrere Tausend Kriegstote verzeichnet, deren Angehörige nicht bekannt sind. Viele Tausend weitere Fälle dürften bei der Deutschen Dienststelle liegen", erklärt der Vorsitzende des VKSVG, Marco Hermann.

Vielleicht kam die Nachricht auch aufgrund von Flucht und Vertreibung bei der Familie nicht an. Die Auskunft der Deutschen Dienststelle (WASt), die für die Benachrichtigung der Angehörigen zuständig ist, klärt das Rätsel auf. Nach dem Krieg informierte die WASt die Familie - zunächst unter der alten Adresse in Wrechow und im Zuge der Beurkundung des Falles 1953 an die Anschrift in Altreetz, Brandenburg. Wahrscheinlich war die Trauer über den Verlust des Sohnes so groß, dass die Eltern den Tod ihres Sohnes nicht wahrhaben wollten und sich dadurch zunächst der Wunschgedanke und somit auch die Familienlegende bildete, der Sohn sei in die USA ausgewandert. Extra Vermisste Soldaten: Auch Jahrzehnte nach dem Kriegsende ist das Schicksal von rund 1,3 Millionen Menschen ungeklärt. Erster Ansprechpartner für Angehörige ist die Deutsche Dienststelle in Berlin ( www.dd-wast.de) oder der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes. Bei der Suche hilft auch der Verein zur Klärung von Schicksalen Vermisster und Gefallener (VKSVG, www.vksvg.de) in Berlin.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort