Wenn Menschen alles aufgeben müssen

Prüm · Aktueller geht es kaum - und kaum bewegender: Der Reporter Wolfgang Bauer hat auf Einladung des Geschichtsvereins Prümer Land im Konvikt über den Syrien-Krieg berichtet. Und seinen zahlreichen Zuhörern vor allem die Menschen nahe gebracht, die vor Tod und Schrecken fliehen. Denn Bauer saß mit ihnen im Boot.

 Bewegender Bericht: Viele Menschen (kleines Foto) hören Wolfgang Bauer im Prümer Konvikt gebannt zu. TV-Fotos (2): Fritz-Peter Linden

Bewegender Bericht: Viele Menschen (kleines Foto) hören Wolfgang Bauer im Prümer Konvikt gebannt zu. TV-Fotos (2): Fritz-Peter Linden

Foto: (e_pruem )

Eine politische Lösung für Syrien? Frieden vielleicht? Von so etwas, sagt Wolfgang Bauer auf die Frage aus dem Prümer Publikum, "sind wir, glaube ich, noch Hunderttausende Tote entfernt".

Und am Freitagmorgen, wenige Stunden nach dem Vortrag des Reporters im Konvikt, kommt im Radio die Nachricht, dass in der Syrienkrise die Gespräche zwischen den USA und Russland vor dem Abbruch stehen.
Näher und aktueller denn je


Selten ist der Geschichtsverein Prümer Land mit einem Vortragsgast in seiner "Brennpunkt"-Reihe so nah am Zeitgeschehen. Bauer spreche zu Themen, "die hochaktuell sind", sagt der Vereinsvorsitzende Volker Blindert zu Beginn. "Das Traurige ist: Es sind Themen, die seit langer Zeit aktuell sind." Und Bauer berichte darüber aus einzigartigem Blickwinkel, "so nah dran, wie es irgend geht".

Denn der Reporter begab sich selbst auf die Flucht, auf eine riskante Reise, die er im Auftrag der Wochenzeitung Die Zeit vor zwei Jahren unternahm, unter falscher Identität und gemeinsam mit dem Fotografen Stanislav Kupar: In einer Gruppe meist syrischer Flüchtlinge, per Boot vom ägyptischen Alexandria aus, Schleppern ausgeliefert, den Gefahren des Meeres und den Launen der Schiffskapitäne.

Mit dabei: sein Freund Amar, den er vor fünf Jahren in Homs kennenlernte - als der Arabische Frühling auch in Syrien begann und Amars Familie den angeblichen Studenten aus Deutschland bei sich unterbrachte. Denn sie wollte, dass der Journalist über die immer blutigeren Taten und Grausamkeiten des Assad-Regimes berichtete.
Das Buch, das Bauer aus seiner Reportage machte, beginnt am Strand von Alexandria, als die Flüchtlinge zu den Booten am Ufer getrieben werden, unter Gebrüll und Stockhieben. Er liest eine kurze Passage daraus vor. Dann erzählt er, was alles geschah, bis es überhaupt dazu kam: Wie Amar mit Frau und Kindern zuerst nach Ägypten floh - daheim alles aufgab, in Kairo neu anfing, sich ein Geschäft aufbaute. Und erneut seine Existenz hinwarf, nachdem das Militär sich an die Macht geputscht hatte und gegen die Flüchtlinge Stimmung zu machen begann, weil man sie als Bedrohung angesehen habe, weil man einen Sündenbock für die Probleme im Land gebraucht habe. Mit Sprüchen, sagt Bauer, "die wir aus unserer eigenen Gegenwart zur Genüge kennen".
Eine Gefahr nach der anderen



Und als die Flüchtlinge endlich, nach langem, enervierenden Warten, in den Kleinbus gepackt und zum Meer gefahren werden, hält man sie an: Sie werden von Geiselnehmern entführt, die sie erst nach Zahlung eines Lösegelds wieder den Schleppern übergeben.

Nur eines von noch vielen weiteren, dramatischen und hochgefährlichen Erlebnissen dieser Flucht. Die übrigens, mitten auf dem Meer, scheitert, als die Gruppe von der ägyptischen Küstenwache aufgegriffen, zurückgebracht und in ein Gefängnis gesteckt wird. Da hocken Bauer und Kupar zusammen mit 60 weiteren Menschen in einer Internierungszelle - auf 35 Quadratmetern. Von unten hören sie die Schreie der Gefolterten.

Die Journalisten geben sich zu erkennen, kommen bald frei. Und irgendwann schafft es auch Amar, der "die VIP-Variante" wählt: Gefälschte Papiere, irre teuer, beim zweiten Versuch schafft es der Freund als angeblicher Franzose über Tansania und Sambia nach Deutschland. Und doch ist seine Flucht noch nicht zu Ende: Amar erlebe derzeit, sagt Bauer, "dass das Ankommen gerade erst beginnt".

Bauer berichtet davon, wie schwer es für Menschen ist, die so unfassbare Anstrengungen auf sich nahmen, um in Frieden leben zu können: Da bleibe am Ende kaum noch Kraft. Viele litten unter Depressionen, veränderten sich, "es gibt viele Scheidungen". Eine Bedrohung aber, die könne er in ihnen nicht erkennen.

Sein Vorschlag auf die Publikumsfrage, was man in Deutschland tun solle? Da erinnert er daran, dass wir hier schon einmal das Richtige getan haben: Während der Balkan-Kriege. Als man die Menschen aus Bosnien-Herzegowina als Flüchtlinge aufnahm - mit der Verpflichtung, wieder heimzukehren, wenn der Krieg vorbei sei. "Und sie sind gegangen. In Freundschaft, nicht in Hass. Und die meisten Syrer wollen das auch."

Syrien: Hunderttausende Tote, gerade erst starben bei den Bombardements in Aleppo wieder Hunderte an einem einzigen Tag. Unvorstellbare Zahlen. Unfassbares Grauen. Wolfgang Bauer erzählt von den Menschen, denen Krieg und Horror die Heimat, die Freiheit, das Leben nehmen. Und bringt sie seinen Zuhörern so nah, dass sie am Ende mit ihm trauern: Um Mohammed, der ihn im Gefängnis mit Essen und Kleidung versorgt hatte. Mohammed, der sich irgendwann ebenfalls auf ein Boot begab. Und der im Meer ertrank, "zusammen mit 500 anderen, darunter 100 Kinder. Und das können Sie mir glauben", sagt Wolfgang Bauer am Schluss, "der Mohammed war ein feiner Kerl."

Im Konvikt sitzen die Reihen voll an diesem Abend, 140 Menschen haben Wolfgang Bauer gebannt zugehört. Und doch: viel zu wenige.Wolfgang Bauer

Extra

Wenn Menschen alles aufgeben müssen
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Wolfgang Bauer ist 1970 geboren, studierte Islamwissenschaften, Geschichte und Geografie, schrieb für Geo, Stern und National Geographic und arbeitet heute für die Zeit. Er ist mit einer Reihe von Preisen ausgezeichnet worden. Seine Reportage "Über das Meer" ist bei Suhrkamp als Buch erschienen (14 Euro). fpl

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