Kriminalität Trierer Experte: Querdenker mit schuld an Tat von Idar-Oberstein

Trier/Idar-Oberstein · Ein Zeichen gegen die Corona-Maßnahmen wollte der Mann setzen, der einen Tankstellenmitarbeiter getötet hat. Wie radikal sind Teile der Querdenker-Szene? Ein Politikwissenschaftler warnt ebenso wie Innenminister Roger Lewentz vor gefährlichen Entwicklungen. Ein Hintergrund nach der Bluttat von Idar-Oberstein.

 In Idar-Oberstein trauern die Bürger um einen jungen Angestellten einer Tankstelle, der am Samstag erschossen wurden.

In Idar-Oberstein trauern die Bürger um einen jungen Angestellten einer Tankstelle, der am Samstag erschossen wurden.

Foto: dpa/Thomas Frey

Der Trierer Politikwissenschaftler Markus Linden sieht in der Tötung eines Tankstellenmitarbeiters in Idar-Oberstein einen politisch motivierten Mord. „Der Täter wollte nach eigener Aussage ein Zeichen gegen die Corona-Maßnahmen setzen. Die Tat steht deshalb auch für die gefährliche Radikalisierung in den extremistischen Teilen der sogenannten Querdenker-Bewegung“, sagte der Experte unserer Redaktion.

Ein 49-Jähriger, der an der Tankstelle Bier kaufen wollte, soll dem 20 Jahre alten Verkäufer am Samstagabend in den Kopf geschossen haben – nachdem der junge Mann ihn zweimal auf die coronabedingte Maskenpflicht hingewiesen hatte. Der mutmaßliche Schütze hat die Tat gestanden. Der deutsche Staatsangehörige sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Als Motiv gab der in Idar-Oberstein lebende Mann an, dass er mit den Corona-Maßnahmen unzufrieden sei und die Schuld dafür dem Tankstellenmitarbeiter gegeben habe.

Laut Innenminister Roger Lewentz (SPD) gibt es bislang keine Hinweise, dass der Tatverdächtige Verbindungen in die rechts­extremistische oder Reichsbürger- und Selbstverwalter-Szene habe. Das gelte auch für die Zugehörigkeit zur extremistischen oder gewaltbereiten Corona-Protestbewegung, sagte Lewentz am Dienstag in Mainz. Ob er möglicherweise Verbindung zur Querdenker-Szene habe oder ob er durch deren Gedankengut zu der Tat angestachelt wurde, müsse noch ermittelt werden. Aus Ermittlerkreisen wurde laut Deutscher Presseagentur aber bekannt, dass der Mann in den Theorien der Corona-Leugner „bewandert“ sei. Verschwörungstheoretiker verbreiteten laut Linden „im Verbund mit Parteien wie der AfD oder der Neugründung die Basis eine fundamentale Widerstands­rhetorik“.

In letzter Konsequenz könne sich diese Haltung auch in Gewalttaten niederschlagen. „Ähnlich wie beim rechtsextremistischen und islamistischen Terrorismus sehen sich dadurch angestachelte Menschen in einem durch eine angebliche Notwehrsituation begründeten Kampf“, sagt Linden. Solche Taten würden begünstigt, wenn Politiker von einer „Corona-Diktatur“ sprächen.

Als Beispiel nennt Linden den thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke. Vor wenigen Tagen habe dieser behauptet, Corona sei nur instrumentalisiert worden, um einen „neuen Überwachungsstaat“ zu errichten. Und es handle sich bei Corona um eine „Inszenierung“. „Dieser manifeste Extremismus durch AfD- und Basis-Vertreter schürt potenziell Gewalt, da er antidemokratischen und militanten Widerstand indirekt legitimiert“, sagt Linden.

Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht in der Tat einen Teil einer „zunehmenden Radikalisierung der Gegner der Corona-Schutzmaßnahmen“.

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock schrieb auf Twitter: „Die Radikalisierung des Querdenkermilieus bereitet mir große Sorgen.“ SPD-Kanzlerkandidat Scholz schrieb auf Twitter: „Wir müssen uns als Gesellschaft dem Hass entschlossen entgegenstellen.“ CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sprach von einem „unfassbaren Maß an Radikalisierung“.

Innenminister Roger Lewentz warnte vor „der abscheulichen Instrumentalisierung der Tat in den sozialen Netzwerken“. Die Sicherheitsbehörden hätten bereits Hinweise darauf gefunden.

„Wenn Anhänger rechtsextremer Verschwörungsideologien und Corona-Leugner die Tat zu Propagandazwecken missbrauchen und einen Mord für ihre perfiden Zwecke nutzen, dann betreiben sie abscheuliche Stimmungsmache und zeigen dadurch ihr wahres Antlitz“, so Lewentz.

Anhänger der Querdenker-Bewegung geben im Netz dagegen der Politik und den Corona-Maßnahmen die Schuld an der Tat. Einige sprechen davon, dass nun der Bürgerkrieg begonnen habe. „Es ist empörend und widerlich, wenn die furchtbare Bluttat von Idar-Oberstein nun im Netz für noch mehr Hass und Menschenverachtung missbraucht wird“, warnte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD).

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