Gesundheit Regelungen und Regresse sorgen für Frust

Trier · Um ihre Situation zu verbessern, werden die niedergelassenen Ärzte aufgerufen, mit einem drastischen Schritt zu protestieren.

   Blick in das Sprechzimmer einer Hausarzt-Praxis.

Blick in das Sprechzimmer einer Hausarzt-Praxis.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Bis zum Jahr 2022 müssen nach Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz in der Region Trier die Stellen von 183 Hausärzten und 298 Fachärzten nachbesetzt werden. Doch Interessenten für die freiwerdenden Praxen zu finden, werde immer schwieriger, sagt Walter Gradel. Der Vorsitzende der Bezirksärztekammer spricht von einer drohenden Versorgungskatastrophe, auf die die Region zusteuere. Schuld daran seien die Krankenkassen und die Politik.

„Seit 25 Jahren wird Problemen im Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung damit begegnet, dass uns Vertragsärzten irgendwelche Regelungen und Repressalien auferlegt werden“, hat Gradel kürzlich beim Neujahrsempfang der Kammer in Trier gesagt. Als Beispiel für die „Regelungen und Repressalien“ nennt er die sogenannten Arznei- und Heilmittelbudgets.

Dahinter steckt das Finanzierungssystem für niedergelassene Ärzte. Die sind zwar faktisch selbstständig, doch anders als etwa Handwerker, die ihren Verdienst durch Mehrarbeit erhöhen können, werden Ärzte quasi dafür bestraft, wenn sie mehr arbeiten, genauer gesagt, wenn sie für Kassenpatienten mehr Verordnungen ausstellen als vorgesehen. Sie bekommen das Geld dafür von den gesetzlichen Krankenkassen nämlich pro Patient und Quartal – zwischen 30 und 40 Euro. Und zwar unabhängig davon, ob ein Patient nur einmal in drei Monaten in die Praxis kommt oder täglich. Zudem ist die Zahl der Verordnungen für Medikamente oder etwa Krankengymnastik durch die Kassen gedeckelt. Verschreiben die Ärzte mehr oder machen sie mehr telefonische Beratungen von Patienten am Telefon, als sie eigentlich dürften, kann es passieren, dass die Kassen das für die zusätzlichen Leistungen gezahlte Geld zurückverlangen. Und diese Regressforderungen können schnell mal mehrere Tausend Euro ausmachen, die etwa ein Hausarzt aus eigener Tasche zurückzahlen muss.

Mit anderen Worten: Je mehr Patienten ein Arzt behandelt, die vielleicht älter und kränker sind, und vielleicht auch, weil er der einzige Arzt in der näheren Umgebung ist, desto eher läuft er Gefahr, dass er sein Budget überschreitet und die Kassen Geld zurückverlangen.

Und das führt laut  Gradel letztlich auch dazu, dass sich immer weniger junge Ärzte in einer eigenen Praxis niederlassen wollen. „Sie wollen lieber als angestellte Ärzte arbeiten.“ Der Ärztechef kann das nachvollziehen, schließlich betrügen die Arbeitszeiten eines angestellten Arztes um bis ein Viertel weniger als die eines freiberuflichen Arztes. Doch selbst wenn sich ein Nachfolger für einen niedergelassenen Arzt findet, der seine Praxis aufgeben will,  ist die Sache nicht so einfach. Denn der Arzt kann nur bedingt mitentscheiden, ob und wer ihm folgt. Das Beispiel eines Urologen aus der Region zeigt die Problematik. Aus Altersgründen will er sich im kommenden Jahr zurückziehen. Er hat auch schon zwei Ärzte, die Interesse an seiner Praxis haben. Einen dieser beiden favorisiert er persönlich. Doch er kann seine Praxis nicht so einfach übergeben. Darüber entscheidet der Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung. Dort müssen sich Ärzte, die sich niederlassen und gesetzlich Versicherte behandeln wollen, bewerben.

Ein Arzt kann sich nur dort niederlassen, wo ein anderer seine Zulassung zurückgibt. Damit soll verhindert werden, dass es eine Überversorgung mit Haus- oder Fachärzten gibt. Welcher Arzt wo genau gebraucht wird, das regelt die sogenannte Bedarfsplanung. Sie stellt die medizinische Versorgung durch niedergelassene Ärzte sicher. Für die Berechnung, wie viele Ärzte für eine sogenannte bedarfsgerechte ambulante Versorgung notwendig sind, ist die Einwohnerzahl einer  Region ausschlaggebend.

 Damit kommt die Kassenärztliche Vereinigung ihrem Sicherstellungsauftrag entgegen. Diesen Auftrag hätten eigentlich die Krankenkassen, die dafür sorgen müssten, dass ihre Mitglieder ausreichend medizinisch versorgt werden, sagt Gradel. Doch die Kassen hätten ihn an die Ärzte übertragen. Und statt die Mediziner dabei zu unterstützen, ihren Auftrag zu erfüllen, seien die Krankenkassen dabei, die Rahmenbedingungen immer mehr zu verschlechtern. „So wird es der Kassenärztlichen Vereinigung auf Dauer nicht gelingen, die ambulante ärztliche Versorgung sicherzustellen“, sagt Gradel.

Den Kassen müsse bewusst gemacht werden, dass die Übertragung des Sicherstellungsauftrags „kein Geschenk“ an die Ärzte sei, meint der Chef der Bezirksärztekammer weiter. Und um zu zeigen, wie schwierig es eben unter den aus seiner Sicht schwerer werdenden Rahmenbedingungen ist, die medizinische Versorgung sicherzustellen, sollten die Kassen diese Aufgabe wieder übernehmen. Um das zu erreichen, müssten die Ärzte aber ihre Zulassung, die sie berechtigt, Kassenpatienten zu behandeln, zurückgeben, sagt Gradel.

Wenn mehr als die Hälfte aller in einem Bezirk zugelassenen Ärzte auf ihre Zulassung verzichten würde, gehe der Sicherstellungsauftrag von den Kassenärztlichen Vereinigungen auf die Krankenkassen über. Das geschilderte Vorgehen sei die einzige Möglichkeit, da die Ärzte ja offiziell kein Streikrecht hätten, um sich gegen die Gängelung durch die Krankenkassen zu wehren und die Tätigkeit in der eigenen Praxis wieder attraktiv zu machen, sagt Gradel. Wohl wissend, dass nur wenige Ärzte seinem Protestaufruf folgen werden.

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