Protest Dicke Ordner voller Beschwerden - 30.000 Unterschriften gegen das Kita-Gesetz

Trier · Sie fürchten höhere Belastung: Erzieher überreichen dem Land in Trier 30 000 Unterschriften gegen das Kita-Gesetz.

 Stapelweise Kritik: Klaus-Peter Hammer, Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gibt Bildungsstaatssekretär Hans Beckmann (links) 30 000 Unterschriften gegen das Kita-Gesetz mit.

Stapelweise Kritik: Klaus-Peter Hammer, Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gibt Bildungsstaatssekretär Hans Beckmann (links) 30 000 Unterschriften gegen das Kita-Gesetz mit.

Foto: TV/Florian Schlecht

Auf dem Tisch liegen neun Ordner, prall gefüllt mit Papier. Der rheinland-pfälzische Bildungsstaatssekretär Hans Beckmann staunt nicht schlecht, als er die dicken Wälzer begutachtet, die ihm die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in der Europäischen Sportakademie in Trier in die Arme drückt.

„Die müssen wir nun im Auto verstauen und nehmen sie mit nach Mainz“, sagt Beckmann da noch mit einem gequälten Lächeln und klarer Stimme. Als der SPD-Mann fast drei Stunden später in den Wagen steigt, klingt er heiser und hat schon einige Bonbons gelutscht. Nicht ohne Grund.

 Vor gut 100 Erziehern aus der Region verteidigte Beckmann zuvor in Trier mit Referatsleiterin Xenia Roth das umstrittene Kita-Gesetz der rot-gelb-grünen Landesregierung. Der erste Entwurf trifft auf heftigen Gegenwind unter Pädagogen: 30 608 Unterschriften sammelten Gewerkschafter alleine in den dicken Ordnern, die sie Beckmann überreichten. Im direkten Gespräch teilen Erzieher vom Hochwald bis in die Eifel dem Bildungsstaatssekretär – Ministerin Stefanie Hubig hatte die Teilnahme kurzfristig abgesagt – ihre Sorgen mit.

 Ein Ärgernis: Künftig sollen Eltern im Land das Recht haben, dass Einrichtungen ihre Kinder sieben Stunden am Stück betreuen. Manche Kita schließt mittags immer noch die Tore. Die Erzieher finden die geplante Regel zwar gut, fürchten aber enorme Belastungen im Kita-Alltag, die der Gesetzesentwurf nicht abdecke. Das Land berücksichtige nicht, dass es bei längeren Öffnungszeiten mehr Erzieher brauche, kritisiert Erni Schaaf-Peitz, die die Kindertagesstätte Wittlich-Neuerburg leitet. „Wir freuen uns über jeden Dank über unsere Arbeit, wichtiger wäre es aber, unsere Stimme zu hören“, tadelt sie.

Eine Erzieherin berichtet von Strapazen im laufenden Kita-Alltag: „Wir müssen schon jetzt jeden Tag einen Notfallplan schreiben, weil Kollegen krank sind und der Stress groß ist. Wir stoßen schon jetzt an die Belastungsgrenze dabei haben die Kinder ganz eigene Bedürfnisse. Eins will kuscheln, eins will im Freien spielen, eins ruhen, eins im Bilderbuch stöbern.“

Für Heike Finster, Leiterin der Kita „Angela Merici“ in Schweich-Issel, bleibt beim Ruf nach Personal noch ein anderes Hindernis stehen. „Wir haben einen echten Fachkräftemangel bei Erziehern. Gerade in der Grenzregion zieht es Kräfte nach Luxemburg, wo sie netto das Doppelte verdienen“, wirft sie ein. In vielen Kitas seien nicht mal alle Ausbildungsplätze besetzt, bestätigen andere Erzieher.

Eine andere Sorge in den Kitas: Wo Einrichtungen länger öffnen, muss auch Infrastruktur wachsen.  „Oft fehlen aber jetzt Schlafräume oder Küchen, um Mittagessen für die Kinder zu kochen. Das dauert doch Jahre ...“, klagt eine Erzieherin. „Wenn die Eltern aber lesen, sie haben das Recht auf eine Sieben-Stunden-Betreuung, fordern sie das in Anrufen sofort ein. Mal führt das zu einer Drohung am Telefon, dann zur Einladung zum Essen“, berichtet die Fachkraft in Trier.

Beckmann sagt, das Land nehme die Kritik mit und beschäftige sich mit Einwänden für den zweiten Entwurf des Gesetzes. Der Bildungsstaatssekretär deutet in Trier bereits an, dass die Landesregierung prüfe, inwieweit es für zweijährige Kinder mehr Personal brauche. Mit Kommunen spreche man darüber, wie die Infrastruktur entstehen könne. Und, so beschwichtigt Beckmann: Das Kita-Gesetz sei ein laufender Prozess und brauche Zeit. Nicht überall müsse die Infrastruktur schon 2020 stehen. Zur Personalgewinnung sagt er: „Da müssen wir bundesweit besser werden.“

Der Bildungsstaatssekretär hebt auch Vorzüge der ersten Kita-Novelle seit 1991 hervor: Er verweist auf 62 Millionen Euro, die Rheinland-Pfalz künftig mehr in Kitas investiere. Dazu kämen Budgets, über die Kitas mehr Personal und Fachkräfte einstellen könnten. Dadurch wolle das Land auch Unterschiede in der Betreuung verringern: Wo bei den über drei Jahre alten Kindern eine Fachkraft in Pirmasens im Schnitt gut elf Kinder betreut, sind es im Landkreis Germersheim etwa sieben. Beckmann sagt in Trier aber auch: „Keiner Kita muss es schlechter gehen.“ Die rheinland-pfälzische CDU kritisiert dagegen Bildungsministerin Hubig. „Die Landesregierung provoziert eine Kita-Krise“, moniert Generalsekretär Christoph Gensch. Das Gesetz verunsichere Erzieher und Eltern.

Und was sagt Heike Finster nach dem Dialog mit dem Bildungsministerium in Trier? „Ich bin froh, dass es Veranstaltungen gibt, in denen wir Fragen stellen können“, sagt sie, als Beckmann mit den dicken Ordnern voller Beschwerden verschwunden ist. „Alle Sorgen sind damit aber nicht vorüber.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort