Abschied von einer Lebenslüge

Es gilt seit langem als ausgemacht, dass die Region und die Stadt Trier im Umgang mit jüdischen Mitbürgern und in der Umsetzung des Nazi-Terrors zurückhaltender gewesen seien als Durchschnitts-Deutschland. Eine an der Uni Trier entstandene Studie über Arisierungen verweist diese Annahme in den Bereich der Fabel.

Trier. "Wir waren zu katholisch, um Nazis zu sein" - das war schon fast eine stehende Redewendung, wenn in den wilden Zeiten der Vergangenheitsbewältigung über die NS-Zeit an der Mosel debattiert wurde. In Trier und Umgebung sei es "eigentlich noch recht friedlich" zugegangen, bis das Hitler-Regime ab 1938 alle auf Linie gezwungen habe.

Eine fromme Lüge. Jedenfalls nach den Erkenntnissen der Historikerin Jutta Albrecht, die ihre Examensarbeit an der Uni Trier dem Thema "Arisierung" gewidmet hat.
Dokumente per Zufall gefunden



Albrecht bekam Zugang zu Archiven, die früheren Forschern nicht zur Verfügung gestanden hatten, unter anderem bei der IHK und dem Amt für Wiedergutmachung in Saarburg. Dazu kam ein geradezu unglaublicher Glücksfall: Bei Aufräumarbeiten im Trierer Rathaus fand sich eine Kiste mit der Aufschrift "Juden". Statt auf dem Müll landete sie im Stadtarchiv - und erlaubte Jutta Albrecht, mit detektivischem Spürsinn etliches Neues über die jüdischen Geschäftsleute in Trier und ihr Schicksal herauszufinden. Zentrale Erkenntnis: Es gab wesentlich mehr von Juden geführte Geschäfte, als man bislang annahm. Mehr als 120 fanden sich in verschiedenen Verzeichnissen - bislang war man von etwa 50 ausgegangen, die auf einer Liste aus dem Jahr 1938 gestanden hatten. Offenkundig hatte die flächendeckende Liquidierung und Arisierung (die Übernahme durch einen nach Nazi-Rassenverständnis untadeligen Besitzer) in Trier bereits lange begonnen, bevor die Nazis sie im Gefolge der Reichspogromnacht gesetzlich anordneten. Bekannteste Fälle waren die beiden großen Kaufhäuser "Porta" (später Hägin, heute Kaufhof) und "Hermann Haas" (später "Insel", heute Sinn-Leffers). Bei Letzterem hatte Franz Duhr die Hände im Spiel, Groß-Landwirt aus der Eifel, Inhaber einer Weingroßhandlung und ab 1933 Präsident der Industrie- und Handelskammer. Aber es traf auch viele andere, vor allem in Geschäften für Schuhe und Bekleidung, Lebensmittel, Leder und Möbel. So musste der Möbelhändler Moritz Joseph (Trierern im Zusammenhang mit "Moritz und Senger" bekannt) sein Geschäft an einen Konzer Konkurrenten abgeben.
Unmittelbare Konkurrenz profitierte oft



Das Schuhhaus Kempe, das dieser Tage sein 100. Firmenjubiläum feiert, gehörte zu den Früh-Arisierungen. Der in der ganzen Stadt beliebte Karnevalist und Revue-Autor Louis Scheuer wurde gezwungen, seine erfolgreiche Privatschule in der Fleischstraße zu schließen. "Das alles passierte unmittelbar unter den Augen der Öffentlichkeit", hält Albrecht fest.

Es war oft die unmittelbare Konkurrenz, an die jüdische Geschäftsleute ihre Betriebe weit unter Wert und zu lächerlichen Bedingungen abgeben mussten oder die von der Betriebs-Liquidierung profitierten. Das schließt die Historikerin aus handschriftlichen Anmerkungen zu den jeweiligen Übernehmern. Deshalb zweifelt sie an der These, es habe sich überwiegend um "freundschaftliche Arisierungen" gehandelt, sprich: die Übernahme durch Freunde und Bekannte in Übereinstimmung mit den vertriebenen Inhabern. Auch andere Dokumente widersprechen dieser Interpretation. Zum Beispiel der Aufruf des Obermeisters der Tapezierer- und Sattlerinnung, der bereits 1935 die "arischen Mitglieder der Innung" warnte, dass es zwar nicht verboten sei, mit Juden Geschäfte zu machen, dass es aber zu großem Ärger führe, wenn man die Grundsätze missachte, "die in einem dreizehnjährigen erbitterten und opferschweren Ringen" gegen die Juden entstanden seien. Angehängt war eine entsprechende Verpflichtungserklärung. Albrecht ist auch Einzelschicksalen nachgegangen, bis zur Ermordung im KZ. Unfassbar dabei die Akribie, mit der noch Todgeweihte vor dem Vergasen Eigentums-Erklärungen unterschreiben mussten, um eine den Ordnungs-Vorstellungen der deutschen Bürokratie entsprechende Abwicklung zu gewährleisten. Dass Namen und Fakten genannt werden, dass man die Schicksale hinter den anonymen Listen zumindest ansatzweise lebendig werden lässt, gehört zu den Verdiensten dieser historischen Fleißarbeit, die jetzt auch in öffentliche Vorträge einfließt. Leider gehörte die Aufarbeitung der Nachkriegszeit nicht mehr zur Examens-Aufgabe. Obwohl es Jutta Albrecht gereizt hätte, angesichts der Schweigespirale, die in den fünfziger Jahren dafür sorgte, dass der Deckel auf den Nazi-Jahren hermetisch verschlossen blieb. "Man war damals noch nicht so weit", sagt die Historikerin. Aber um so wichtiger sei es, "dass wir heute ohne die Belastung durch persönliche Verstrickung die Sache aufarbeiten". Wenigstens das sei man "den Opfern schuldig".

Jutta Albrecht stellt ihre Erkenntnisse am 10. November um 19.30 Uhr in der VHS Trier am Domfreihof vor. Titel: "Was ist des Unschuldigen Schuld - Arisierungen in Trier".

Extra

Haben Sie noch Erinnerungen aus dieser Zeit? Dann schreiben Sie uns Ihre Geschichte und mailen Sie an: zeitzeugen@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort